Von Christina Rinkens
„Herr Lamberti, da auf dem Thron, da hat der Karl gesessen.“ Carolina muss Herrn Lamberti schon fast ins Ohr brüllen, damit der 100-Jährige sie auch verstehen kann. „Ach, und hat der denn auch gerade gesessen?“ Auf diese wunderbare Art haben in den vergangenen Monaten Kinder aus der KiTa Hahn gemeinsam mit Seniorinnen und Senioren aus dem Papst-Johannes-Stift und dem Klosterstift Radermacher die Aachener Stadtgeschichte erkundet.
Frühe Sensibilisierung
„Wir werden alle älter und stark mit der Thematik Demenz zu tun haben“, meint Inge Förster, Leiterin der KiTa Hahn. „Am besten lernen Kinder früh, damit umzugehen.“ Eigentlich ist das jetzt beendete Pilot-Projekt aus einer Familienidee entstanden. Tochter Angelina arbeitet im Seniorenstift und wollte auch mal mit „ihren“ Senioren in den Tierpark. Wieso nicht zusammen gehen, dachten sich Mutter und Tochter im Sommer 2014. Weil alles so reibungslos funktionierte, war bald die Idee für das Projekt „Pusteblume“ entstanden.
Gemeinsam mit Pia vom Dorp, Leiterin der Kunst- und Kulturvermittlung der Route Charlemagne und Peter Kleinen, Leiter des Seniorenheims Papst-Johannes-Stift, wurde das Konzept auf zehn gemeinsame Museumsbesuche angelegt. Plus einige Besuche jeweils im Stift oder der KiTa. Schnell hatte das Projekt auch einen Namen: „Pusteblume“. Übertragen bedeutet das Bild der Pusteblume, dass die Senioren ihre Erinnerungen langsam wegpusten und die Kinder das Weggepustete aufnehmen – und dass dadurch ein neuer Löwenzahn, eine neue Erinnerung entsteht.
Auf einer Ebene treffen
Bei den zehn gemeinsamen Terminen im neuen Aachener Stadtmuseum, dem Centre Charlemagne, wurde nach jeder Themenführungen auch eine praktische Übung gemacht. Heute muss Karl der Große gemalt werden – gerade sitzend – und später auf die richtige Stelle des Domgrundrisses geklebt werden. „Das Besondere an dieser Kooperation ist das Miteinander der beiden Besuchergruppen“, sagt Stift-Leiter Peter Kleinen. „Das Produkt beider ist am Ende immer sehr ähnlich. Fähigkeiten, die die Kinder noch nicht haben, sind bei den Senioren schon verloren gegangen. Dadurch entsteht eine wunderbare Vergleichbarkeit.“
Sowohl die Senioren, als auch die Kinder nehmen viel mit aus dem Projekt. Während die Kinder lernten, mit älteren und kranken Menschen rücksichtsvoll und herzlich umzugehen, kamen bei den Senioren die Erinnerungen langsam zurück. Stift-Bewohner, die sonst eher still sind, teilten plötzlich ihre persönlichen Erinnerungen an die Aachener Geschichte mit den Kindern. Der Moment zählte und es wurde viel gemeinsam gelacht. Das ein oder andere Tränchen vonseiten der Senioren sei auch dabei gewesen.
Fortsetzung folgt
Der Förderantrag für ein weiteres Projekt ist bereits gestellt. „Erst einmal wird es aber eine Fachtagung hier im Centre Charlemagne für interessierte Einrichtungen geben, die Resonanz ist schon jetzt sehr gut“, erzählt Pia vom Dorp. Dass das Pilot-Projekt jetzt erstmal beendet ist, finden alle schade. „Die Kinder fragen schon immer ‚Wann gehen wir wieder zu unseren Senioren?‘“ Und auch die Senioren erinnern sich immer mehr an die gemeinsamen Stunden im Museum. Ein Wiedersehen wird es ganz bestimmt geben.
Auch wenn den Kindern bewusst ist, dass zum Beispiel Herr Lamberti mit seinen 100 Jahren schon sehr alt ist und vielleicht bald sterben könnte.“‚Das wäre ja doof‘ ist dann immer die Antwort der Kinder“, sagt Inge Förster. „Sie sprechen mit einer Selbstverständlichkeit und Herzlichkeit von der Möglichkeit, die natürlich sein sollte.“ Nebenan wird es mittlerweile laut. Carolina brüllt Herrn Lamberti ins Ohr: „Herr Lamberti, jetzt darfst Du den Karl auf das Bild kleben.“ \
DEMENZ KINDGERECHT ERKLÄRT
Im Vorfeld des Projekts wurden die Kinder der KiTa Hahn altersgerecht mit dem Krankheitsbild Demenz vertraut gemacht. Als Erklärbeispiel diente der Vergleich mit Steinen: In der Kindheit hat man noch große Erinnerungssteine, später werden diese immer kleiner, bis sie irgendwann zu Körnern werden und nicht mehr hängen bleiben können.
INTUITION
Bei den Begegnungen mit den Senioren haben die Kinder selbst schnell gemerkt, wie sie sich verhalten sollten. „Kinder bringen uns Erwachsenen bei, wie man mit Senioren umgehen muss“, sagt Inge Förster, Leiterin der KiTa Hahn.
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