Herr Beitin, welche Schwerpunkte wollen Sie im Ludwig Forum setzen?
Ich bin davon überzeugt, dass ein öffentlich finanziertes Haus Stellung beziehen muss. Es muss gesellschaftspolitisch relevante Themen behandeln. Es geht um Fragen, die die Menschen in einer zunehmend komplexer werdenden Welt beschäftigen, etwa im Zusammenhang mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung oder im Kontext der Flüchtlingsbewegungen. Unabhängig von einem möglichst attraktiven Ausstellungsprogramm möchte ich auch Veranstaltungen zu aktuellen kulturpolitischen Themen etablieren. Für den Herbst plane ich eine Veranstaltung zur Zukunft Europas. Für diese Veranstaltungen wird die Forums-Mulde auch wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt – sie soll Plattform und Diskussionsforum sein, eine Agora des Austauschs.
Dem ZKM in Karlsruhe steht für NRW-Verhältnisse ein geradezu paradiesisches Budget zur Verfügung. Sie sind also gewohnt, große Sandburgen zu bauen. In Aachen gibt es vergleichsweise kleine Förmchen für den Sandkasten. Können Sie auch mit wenig Geld auf ZKM-Niveau Ausstellungen machen?
Die finanzielle Ausstattung der Museen ist ein generelles Problem. Die Stadt Aachen gewährleistet für das Ludwig Forum die Grundvoraussetzungen, damit das Haus läuft. Darüber hinaus muss ich natürlich schon schauen, dass weitere Gelder reinkommen, um überhaupt größere Ausstellungen realisieren zu können. Das entspricht leider der deutschen Museumsrealität. Auch im ZKM war ich schon mit der Akquise von Drittmitteln beschäftigt. Insofern ist mir das Antrag- und Konzepteschreiben durchaus bekannt.
Eigentlich ist das ZKM doch ein Mekka der zeitgenössischen Kunst. Für viele Kunstwissenschaftler und Kuratoren ein Traumjob. Sie wollten weg – warum?
Nach elf Jahren im ZKM wollte ich mich neuen Herausforderungen stellen. Ich habe im ZKM 79 Ausstellungen konzipiert oder betreut. Da ist schon ein ganz schöner Schatz an Erfahrungen zusammengekommen. Aber wie man immer so schön sagt: „Wenn’s am schönsten ist, soll man gehen“. (lacht)
Warum wollten Sie zum Ludwig Forum?
Zum einen wegen der renommierten Sammlung Ludwig. Aber es ist auch der Forumsgedanke, der mich fasziniert und der für die Gründungszeit des Hauses innovativ gewesen ist. Aus meiner Sicht ist das heute, in Zeiten eines weitgehend durchkommerzialisierten Kunstbetriebes, nach wie vor sehr aktuell: Kunst soll nicht nur konsumiert werden, sondern es muss über die Inhalte, die Konditionen des Entstehens und vieles andere mehr debattiert werden. Das ist Teil des partizipativen Gedankens der Kunst. Ein weiterer Punkt war für mich noch, dass im Ludwig Forum schon ganz früh angefangen worden ist, eine Videokunst-Sammlung aufzubauen.
Was denken Sie, warum haben Sie den Posten bekommen?
Offensichtlich war mein Programm überzeugend, meine Ideen und Konzepte für die Weiterentwicklung des Ludwig Forums, die Mischung aus Kompetenz, Erfahrungsschatz und Integrität. Möglicherweise hat man sich aber auch für mich entschieden, damit ich ein bisschen was vom Geist des ZKMs mitbringe, von diesem interdisziplinären Denken. Von mir werden sicherlich nicht nur „klassische“ Ausstellungen erwartet, also die rein kontemplativ sind. Man erwartet da schon einen Mehrwert im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs. Ich bin darüber hinaus interessiert an der Kombination von Kunst, Technik und Wissenschaft, die auch hier in Aachen möglich ist.
Auch in der Aachener Kulturpolitik wird als Maßstab für die Qualität des Ausstellungsbetriebs mit Besucherzahlen hantiert. Gibt es Erwartungen, bei denen Sie sich nicht sicher sind, ob Sie sie erfüllen werden?
Das beruht wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit. Ich habe ja auch eine lange Wunschliste (lacht). Ich bin Realist genug, um einschätzen zu können, was geht und was nicht. Natürlich will ich steigende Besucherzahlen erreichen, ein attraktives, international beachtetes Ausstellungsprogramm machen und auch das ganze Viertel hier beleben. Wobei die Besucherzahlen alleine sicherlich nicht der einzige Indikator für Qualität sind. Ich denke, das Haus kann nur so gut sein, wie es die Stadt will. Ich bin absolut bereit, mich hier mit 150 Prozent einzubringen, aber es muss auch von Seiten der Stadt Unterstützung kommen.
Werden sie pro Besucher bezahlt?
Nein, natürlich nicht.
Werden Sie danach bezahlt, wie häufig das Ludwig Forum in der überregionalen Presse genannt wird?
Auch das ist nicht Bestandteil meines Vertrages. Aber ich will eine nationale und internationale Berichterstattung erreichen.
Häufig wurde über das Konzept, den Ort und die Anziehungskraft des Ludwig Forum gestritten. Nehmen Sie wahr, dass das Haus polarisiert?
Nun, mir haben schon sehr viele Leute ihre jeweilige Vision oder Perspektive auf das LuFo mitgeteilt. Es kann sein, dass manche Aachener das Haus noch nicht so wertschätzen, wie es wertgeschätzt werden müsste oder nicht sehen, was für einen großen Schatz die Sammlung Ludwig darstellt.
Mal unabhängig vom Verhältnis der Aachener zum Ludwig Forum – hat die zeitgenössische Kunst es nicht sowieso irre schwer, sich im Kampf um Aufmerksamkeit zu behaupten?
Natürlich hat es die Kunst schwer. Museen als solches haben bei vielen jüngeren Leuten einen eher miefigen Anklang. Deswegen ist es mir so wichtig, dass man Menschen schon im Kindesalter für Kunst begeistert und ihnen die Schwellenangst nimmt. Ein Haus, das mit Steuergeldern finanziert ist, sollte natürlich für alle da sein. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass ich das Haus an einem Tag in der Woche kostenlos zugänglich machen möchte.
Und wenn die Leute nun mal einfach nicht ins Museum gehen wollen?
Wissen Sie, mich beschäftigt die Frage schon seit Jahren, wie man Kunst und Menschen zusammen bringen kann. Ich möchte nicht nur darauf warten, dass die Menschen zur Kunst kommen, sondern auch mal den Weg umdrehen, und die Kunst zu den Menschen bringen. Kunst im öffentlichen Raum gibt’s schon seit Jahrhunderten. Warum aber nicht auch die aktuelle Kunst und mit ihr das Ludwig Forum in den Stadtraum bringen? Eine meiner Ideen ist es, Partnerschaften mit Unternehmern oder Institutionen einzugehen, die es mir ermöglichen, einmal im Jahr einen Künstler einzuladen, der hier vor Ort, für Aachen eine Skulptur im öffentlichen Raum schafft, die dauerhaft bleibt. Ich will Menschen mit Kunst konfrontieren, so dass sie ein Bewusstsein dafür bekommen, dass es neben dem Fußballverein und dem Karneval noch etwas anderes gibt, das ungeheuer faszinierend sein kann.
Welche Vorurteile gegenüber Kunst finden Sie besonders schlimm?
Erstens: Das kann ich auch. Zweitens: Das ist Müll. Drittens: Das verstehe ich sowieso nicht. Natürlich hat jeder ein Recht auf seine Meinung. Aber meistens fehlt doch ein genaueres Wissen, um solche Aussagen zu tätigen. Aber daran arbeiten wir ja, die Vorurteile abzubauen und Menschen für Kunst zu begeistern.
Gibt es Kunst, die Sie verachten?
Schlechte Kunst natürlich. Irgendwelchen Kitsch, irgendwelche Malereien, wo nichts dahinter steckt. Was mir zuwider ist, ist Kunst, die mit einem Wahnsinnsaufwand, mit riesengroßen Formaten arbeitet, Kunst, die alleine durch die Größe die Leute für sich einnehmen will und deren Aussage zur Dimension des Kunstwerks häufig in keiner guten Relation steht. Und was ich wirklich verachte, ist Kunst, die man unter dem Begriff „Kommerz-Kacke“ am besten beschreibt. Also Kunst, die eigentlich nur dafür geschaffen wurde, den Markt zu bedienen und statt eines Aktienpaketes gehandelt wird.
Gibt es außer Kunst noch andere Dinge, die Sie bewegen?
Die mich bewegen? Mein Fahrrad bewegt mich (lacht). \
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