Gerade erst 18 Jahre alt waren Kai Funada Classen und Finn Bußberg, als sich für sie alles ändern sollte. Die ehemaligen Waldorfschüler brachen auf, um nach dem Abi mit der transsibirischen Eisenbahn Asien zu erkunden. Zurück kamen sie mit vielen Eindrücken – und einer Geschäftsidee. Ein Besuch.
VON SIMON WIRTZ
Nach einer fast 45-minütigen Autofahrt habe ich mein Ziel erreicht. Ich stehe mitten im Gewerbegebiet, wenige Kilometer von Erkelenz, vor der Tür einer Firma, die Solarprodukte vertreibt. Ein kleines Schild weist darauf hin, dass auch die „Entorganics GmbH“ im Gebäude untergebracht ist. „Entorganics“, das sind Kai Funada Classen und Finn Bußberg, die mir die Tür öffnen und mich durch die Geschäftsräume der Solarfirma hindurch in ein kleines Büro leiten. Hier steht ein großer Pressspan-Tisch, einige Werbeaufsteller und viele Regale voller Shake-Verpackungen. Mehr Platz ist nicht.
9288 Kilometer
„Willkommen!“, sagt Finn und reicht mir ein Glas Wasser. Journalisten habe er schon viele getroffen, und er freue sich immer wieder, ihnen die noch kurze, aber umso ereignisreichere Geschichte der beiden Waldorfschüler zu erzählen. Und die handelt von zwei Jungs, die sich aus der Schule kennen und seit Jahren gut befreundet sind. Nach dem Abi, das war 2018, wollte man dann „etwas richtig cooles starten“, wie Kai sagt. Der Plan: Mit der transsibirischen Eisenbahn nach Asien fahren. Das sind 9288 Kilometer, 240 Stunden. Einfach mal weg aus Deutschland und dem vertrauten Umfeld. Und das haben die Jungs dann auch tatsächlich getan: Monatelang waren sie unterwegs, haben auf dem Fußboden geschlafen, getrampt, mit Einheimischen gesprochen und natürlich, wie wahrscheinlich jeder Tourist in Asien, jede Menge Essen probiert. „Da waren halt immer diese nervigen Straßenhändler, die einem was andrehen wollten“, erinnert sich Kai. Einer der Straßenhändler bot Insekten an. „Der war so hartnäckig, aber das, was er da anbot, sah wirklich eklig aus“, ergänzt Finn. Als die Jungs sich dann erstmal in ein Gespräch verwickeln ließen, kamen sie aus der Nummer nicht mehr raus. „Augen zu und durch hieß es dann“, sagt Kai. Dass dieser Moment der Beginn einer Gründung werden sollte, wusste damals natürlich noch niemand.
Besser für das Klima
Nach der Rückkehr aus Asien ließ das Thema Insekten die beiden Gründer nicht mehr los. „Der Geschmack war besser als das Aussehen, und wir haben uns dafür interessiert und mal gegoogelt, welche Insekten man eigentlich isst und wieso“, erzählt Finn. Ein großes Thema, auf das sie bei ihren Recherchen gestoßen sind, waren die Nährstoffe, die in den Insekten enthalten sind. „Uns wurde klar: Insekten sind in anderen Teilen der Welt ein normales Lebensmittel. Sie sind nährstoffreich und viel besser für das Klima als Fleisch. Wie mega ist das denn?“, freut sich Finn. Da wussten die beiden Erkelenzer: Sie wollen das bisher bei uns noch fast unbekannte Superfood Insekten in Deutschland und Europa groß machen. Am meisten Potenzial sahen Kai und Finn da in der Fitness- und Gesundheitsbranche: „Menschen, die viel Sport machen, achten auch eher auf gesunde Ernährung. Deshalb wollten wir erstmal in dieser Branche starten, weil wir glauben, dass sich diese Menschen am ehesten an etwas Neues wagen. Besonders, wenn es voller Nährstoffe und gesund ist.“

Startschuss
Die erste Idee stand also: Man wollte Insekten an Menschen verkaufen, die gerne Sport machen. Ein genaues Konzept fehlte aber noch. Das konnten Finn und Kai natürlich nicht alleine erstellen. „Uns war klar, wir brauchen Hilfe. Also bewarben wir uns mit der Idee bei verschiedenen Start Up-Programmen. Bei „xStarters Accelerator“, einem Programm von Volkswagen, wurden wir dann angenommen – und holten noch dazu den ersten Platz!“, erzählen die beiden. Und das war gleichzeitig der Startschuss für ihr Business. Tagelang durften die jungen Gründer gemeinsam mit Agenturen und Beratern an ihrer Idee feilen. Das Ergebnis: Eine Backmischung für Proteinriegel, die Insekten enthalten. „Der Hauptgrund für die Riegel-Idee waren unsere eigenen Erfahrungen. Proteinriegel sind cool, aber wirklich teuer. Wir dachten: Lass doch eine Backmischung machen, denn als Backmischungen zum Selbstmachen kann man sie viel günstiger anbieten“, weiß Kai. Doch das ging gehörig schief: Die Crowdfunding-Kampagne erreichte nicht annährend ihr Ziel. Viel zu kompliziert sei die Idee. Riegel wolle keiner backen, sondern fertig kaufen, denn das sei ja das Tolle an einem Riegel. Negatives Feedback gab es an allen Ecken. Doch aufgeben wollten die ambitionierten Freunde nicht.
Neustart
Eine neue Idee sollte her. Eine, die erfolgreich ist und gut ankommt bei den Leuten. „Wir waren enttäuscht, aber so schnell aufzuhören kam einfach nicht in Frage. Also setzen wir uns hin, redeten miteinander, diskutierten viel, dachten nach. Und dann war eine Idee im Raum, die so einfach scheint, dass wir erst sehr skeptisch waren“, sagt Kai. Einen Proteinshake wollten die Jungs herstellen, abgefüllt in Dosen, in Pulverform. Eine Neuheit? Natürlich nicht. Das wussten auch die beiden Gründer. „Proteinshakes gibt es jede Menge, das ist auch uns klar. Aber Proteinshakes mit Insekten, die natürliche Zutaten beinhalten, die gibt es nicht. Noch nicht.“ Die Gründer waren überzeugt vom neuen Konzept. Setzen sich hin, um Verpackungen zu entwerfen und die erste Produktion zu planen. Eine neue Crowdfunding-Kampagne wurde ins Leben gerufen, dieses Mal viel erfolgreicher. Im Januar 2020 war es dann endlich soweit: Die ersten Dosen wurden produziert! Nicht im Ausland, und auch nicht in einer großen Fabrik, sondern in einer Großküche in der Nähe von Erkelenz, an die die beiden über Bekannte kamen. Nur Kai, Finn und ein kleines Team waren dabei, als der erste Batch Pulver abgefüllt wurde. „Wir waren unendlich stolz. Ein tolles Gefühl, das eigene Produkt zum ersten Mal in den Händen zu halten“, freut sich Kai.

Auslandsexpansion
Das Pulver, das in verschiedenen Packungsgrößen in den Geschmacksrichtungen Erdbeere, Schokolade und Banane bisher nur im Onlineshop des Start-Ups zu kaufen gab, wird schon bald die Supermarktregale einiger REWE-Filialen bei Erkelenz erreichen. „Wir konnten den Geschäftsführer von unserem Produkt überzeugen. Er fand es richtig gut“, ist sich Finn sicher. Und auch bei Tastings, die die Gründer an manchen Samstagen in Supermärkten und in Fitnessstudios an einem eigens gebauten Stand anbieten, bekommen sie durchweg positives Feedback. „Die Leute sind interessiert. Unser Produkt ist neu und gesund, das kommt gut an.“ Viel zu tun für Finn und Kai. Nicht nur in die Fitnessstudios und Supermärkte soll es bald gehen, auch ins Ausland. „Auch die anderen Europäer wissen wenig von Insekten. Dort ist ein großer Markt für uns“, weiß Finn. Doch auch das trauen sich die jungen Gründer zu.