Marcella Hansch ist Architektin und hat das Projekt »Pacific Garbage Screening« ins Leben -gerufen, mit dem sie die Meere vom Plastikmüll befreien will. Klenkes neo erzählt sie, was alles möglich ist, wenn man für eine Idee wirklich brennt.
VON ANJA NOLTE
FOTOS PACIFIC GARBAGE SCREENING UND MELINA HANSCH
Alles fing damit an, dass Marcella Hansch im Flieger saß und einen Artikel zum Thema »Plastikmüll im Meer« las. Als ihr dann beim Tauchgang im Atlantischen Ozean tatsächlich Plastiktüten vor der Taucherbrille herumschwammen, ließ sie das Thema nicht mehr los. »Wenn man einmal darauf achtet, sieht man den Müll überall, auch am Strand«, erzählt Hansch, die damals kurz vor ihrem Masterabschluss in Architektur stand.
Zurück in Aachen beschloss sie, ihre Abschlussarbeit darüber zu schreiben und eine Art Schiff zu designen, das den Müll aus dem Meer holt. »Da wusste ich noch nicht, was das für ein Aufwand wird«, lacht die heute 32-Jährige. »Aber klar war, es soll nicht nur gut aussehen, sondern auch funktionieren.«
Die Herausforderung: Vor fünf Jahren gab es noch keine belastbaren Online-Artikel zu dem Thema. Sogar der Begriff »Mikroplastik« war damals noch kaum bekannt. Hansch startete die Recherche, sechs Monate hatte sie Zeit. »Ich wollte verstehen, wie Plastik überhaupt hergestellt wird, warum Plastik im Meer landet und wie die riesigen Müllstrudel entstehen.« Sie las Maschinenbau-Skripte, setzte sich in Kunststoff-Vorlesungen, recherchierte in Richtung Bionik, dann in Richtung Kläranlagen und machte Studien zu Strömungsanalysen. »Ein krasser Prozess«, gibt sie zu.
200 Formen testete sie am Computer durch, dann fand sie die passende Bauweise. Ihr Ansatz: Kein Schiff, sondern eine bauchige, schwimmende Plattform, die die Strömung beruhigt. Auf diese Weise können die Plastik-partikel wieder an die Wasseroberfläche steigen und abgeschöpft werden. »Die erste Prüfung, die mir richtig Spaß gemacht hat«, erinnert sich Hansch, die alles bis ins kleinste Detail durchkonstruiert hat. Zum Beispiel auch, wie die Plattform auf Wellenbewegungen reagiert, wie sie verankert wird oder wie der Auftrieb generiert wird.
»Das Workaholic-Gen habe ich, glaube ich, schon«, lacht sie. 40 Stunden – morgens, abends sowie an den Wochenenden – arbeitet sie heute für ihr Projekt, und zwar neben ihrem normalen Job in einem Aachener -Architekturbüro. Geplant war das Ganze nicht: »Zunächst wollte ich ja nur meinen Abschluss schaffen.« Aber ein größerer Zeitungsartikel in ihrer Heimat Arnsberg brachte erste Medienaufmerksamkeit, dann kamen immer mehr Anfragen für Impulsvorträge.
Auch das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der RWTH begeisterte sie mit einem kleinen Vortrag in einer Mittagspause. Kurzerhand wurden zwei Abschlussarbeiten zu ihrem Projekt ausgeschrieben, mit dem Ergebnis: Das Prinzip funktioniert, zumindest in der Theorie. Ein guter Grund, weiterzumachen und die Idee nicht in einer Schublade verschwinden zu lassen: »Ich stehe einfach voll und ganz dahinter.«
So richtig explodiert ist das Projekt mit Gründung des Vereins Ende 2016. Heute arbeiten 40 Leute ehrenamtlich – viele sind Studierende – für die revolutionäre Idee der Architektin: Ein paar bauen einen Strömungskanal in einer Garage auf, andere kümmern sich um Organisation und Marketing, wieder andere um Forschung und Entwicklung. »Wir haben viele coole, engagierte Leute mit an Bord.«
In der Digital Church teilt sich das Team einen Arbeitsplatz im Coworking-Space und nutzt vor allem die Besprechungsräume. »Es macht eben einen Unterschied, ob man sich bei jemanden in der Küche trifft, oder ein Whiteboard zur Verfügung hat.« Der nächste Schritt: Kapazitäten schaffen.
Via Crowdfunding hat »Pacific Garbage Screening« im Juni 230.000 Euro eingesammelt und die Anzahl der Mitglieder und Unterstützer mal eben auf 800 verdoppelt. »Mit dem Geld wollen wir erste Stellen schaffen und die Forschung vorantreiben, um die Technologie auch irgendwann zu realisieren.« Möglichst innerhalb der nächsten fünf Jahre soll ein erster Prototyp für Flussmündungen gebaut werden.
Das Geld reicht aber nur für ein halbes Jahr: Sponsoren müssen gefunden, Forschungsgelder beantragt werden. »Wir fallen mit unserem Projekt durch sämtliche Raster«, erklärt die ehemalige RWTH-Studentin. »Wir sind ja kein klassisches Startup mit -Businessplan, sondern wir wollen einfach etwas Gutes tun.«
Hundert mal sei sie schon auf die Nase gefallen – so viele Absagen hat sie erhalten. »Aber wenn ich auf der Bühne stehe und den Leuten von meinem Projekt erzähle und dann kommt jemand und sagt, mach weiter – daraus ziehe ich unheimlich viel Energie.«
Weder in der Schule noch im Studium sei sie besonders gut gewesen, sagt sie von sich selbst. »Das Wichtigste ist, dass man sich nicht in irgendwelche Strukturen reindrücken lässt. Wenn man für etwas brennt, ist alles möglich.« Ihr Motto: Keine Angst haben, sondern einfach machen. \