Vor meiner Verabredung mit Apollo Theaterleiter Simon Kluge erwartete ich noch einen geschulten Cineasten, der Truffaut bereits mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Stattdessen treffe ich einen Mann mit Mut zu Lücken und Lust auf neue Zwischenzonen.
VON THORSTEN WOLLBECK
Keinen Hitchcock, nur einen James Bond. Nicht aus einer Verachtung des Mainstreams heraus, sondern aus seiner stark eingeschränkten ARD/ZDF Fernsehkind-Kindheit ist es primär zu erklären, dass Simon Kluge früher und bis heute den ein oder anderen Blockbuster und gemeinhin als einen solchen gehandelten Klassiker verpasst hat. Überhaupt: Das Medium Kino habe ihn erst viel später gefangen, erzählt er, eigentlich erst so richtig, seit er im Apollo anfing zu arbeiten, damals noch als Thekenkraft in der Nachtgastronomie.
Auch seine Karriere glich bis dahin eher einem Stakkato mit Leerstellen als einem kontinuierlichem Karrierestrom, zumindest wie er mir seinen Lebensweg kurz phrasiert: »Abi, Zivi, beworben, nix!, Ausbildung zum GTA (Gestaltungsstechnischen Assistent), nix!, selbständiger Grafikdesigner …, dazwischen irgendwo noch ein Jahr Festanstellung bei der Lebenshilfe.«
Die Gestaltung einer Broschüre für die Programmpreiseinreichung bringt Simon dann erstmals bei seinen Kino-Chefs auf den Zettel. Als der Theaterleiterposten vakant wird, empfiehlt er sich aus dem Gefühl heraus, den Posten irgendwie cool zu finden.
Die Antwort: »Wer bist du? Wie kommst du darauf? Musst erst mal vorführen lernen und hast keine Ahnung vom Kino.«
Mittlerweile ist Simon seit Jahren fester Bestandteil des Apollo Kinos und seine Kompetenzen und Verantwortungen reichen inzwischen über die eines üblichen Theaterleiters hinaus, auch wenn er weiterhin dafür sorgen muss, dass Dienstpläne, Süßwarenanlieferungen und Ticketsystemumstellungen laufen.
Wesentliches Mehr ist, dass inzwischen alle Sonderreihen in seiner Verantwortung liegen. Zum Cinéfête Jugendfilmfestival müssen über 1.500 Schüler durchs Apollo geschleust werden, Wim Wenders schaute auf Einladung zur Premiere von den »Kathedralen der Kultur« vorbei, anlässlich der Premiere von »Das unbekannte Mädchen« holt er demnächst die zweifach in Cannes prämierten Dardenne Brüder nach Aachen, deren einziger Zwischenstopp in Deutschland ansonsten Berlin heißt. Ihr brutaler Realismus hat ihn selbst zum Fan gemacht.
»Mein Bruder wollte immer, dass ich Abschlüsse sammele. Ich wollte irgendwann einen Arbeitgeber finden, dem das alles egal ist, dem ich nur zeigen muss, dass ich ein cooler Typ bin.«
Zwar übernehmen Filmsichtung und Selektion weiterhin zum Großteil die Kinobetreiber, doch fiel und fällt dies im Einzelfall auch schon einmal auf Simon zurück. Dass man sich dabei nicht allein nach persönlichem Gusto richten darf, wurde ihm bei »Monsieur Claude und seinen Töchter« klar, den er so mies fand, dass er ihn zuerst in den kleinsten Saal abschieben wollte. Da ruft dann schon einmal der Verleih an und droht mit Entzug der Vorführlizenz. Am Ende rotierte der Film fast ein Jahr durch, zeitweise in zwei Sälen.
»Mein Bruder wollte immer, dass ich Abschlüsse sammele. Ich wollte irgendwann einen Arbeitgeber finden, dem das alles egal ist, dem ich nur zeigen muss, dass ich ein cooler Typ bin.« Hat er wohl. Auch das Kino hat ihn inzwischen längst gepackt, auch wenn er einfach keine Zeit mehr dafür hat, manchen Klassiker von seiner Liste zu streichen.
Fotos: Apollo Kino&Bar; Thorsten Wollbeck