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Tim Berresheim: »Der kybernetische Hippie«

Die Moderne ist vorbei. Und während andere Künstler immer weiter die alten Techniken ventilieren, dekonstruiert Tim Berresheim die Welt der Bilder. Der Computer ist sein Pinsel, sein Meißel, sein Kumpel.


»Bis ich 25 war, fand ich Kunst reichlich uninteressant.« Tim Berresheim sitzt an einem der Schreibtische in seinem Atelier, das sich tief in ein Wohnhaus am Rande der Aachener Altstadt bohrt. Während Räucherstäbchen die Nase umschmeicheln, übernimmt ein Plattenspieler dieselbe Aufgabe für die Ohren. Dass der Herr des Hauses quasi nebenberuflich Betreiber eines Plattenlabels und Teil gleich mehrerer Bandprojekte ist, deutet darauf hin, welch essentiellen Part die Musik in seinem Leben spielt. Und man muss nicht einmal ein aufmerksamer Beobachter sein, um zu erahnen, dass Berresheim dabei vor allem ein Faible für Vinyl hat. Die Wand in seinem Rücken ist zu gut zwei Dritteln mit einem Plattenregal bedeckt, dessen Inhalt durch eine enorme Bandbreite besticht. Jazz-Pianist Thelonious Monk steht hier Cover an Cover mit Cockney-Rocker Ian Dury, der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch mit Punk- und Hardcoregrößen wie den Hard-Ons oder Black Flag. Auf dem Plattenteller dreht sich mit »Algorythmes« ein frühes Werk der französischen 80er-Elektro-Wave-Pioniere Charles de Goal.

Tim Berresheim ist selbst auch ein Pionier. Täglich betritt er mit seinem Schaffen unbekanntes Terrain auf der Kunst-Landkarte. »Es gab eine Zeit, da war ich, was das betrifft, total on fire. Überall sah ich ungesteckte Claims, in die ich meine Fahne rammen wollte.« Diese Sprunghaftigkeit in Sachen Neulanderschließung hat er mittlerweile abgelegt. An seiner Vorreiterrolle als Künstler hat sich dadurch nichts geändert. Seinen vierzigsten Geburtstag feierte er in diesem Jahr. Aus der uninteressanten Kunst ist in der Gegenwart ein zentraler Bestandteil seines Lebens geworden. Was ist in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten passiert?

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Malen ja, Pinsel nein

Den Unterschied zwischen damals und heute stellt in erster Linie ein Mehr an Informationen dar. In Prä-Internet-Tagen war an diese in Berresheims Heimatort Wassenberg vergleichsweise schwer zu kommen. »Ich wusste nicht viel über Kunst und Kunstgeschichte. Darum gab es keine Basis, mich damit überhaupt zu beschäftigen.« Mit seiner Einschreibung an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig im Jahr 1998 sollte sich das ändern. Seinerzeit Drehbuchassistent von Burkhard Driest, wollte Tim Berresheim in der Löwenstadt eigentlich Film studieren. Er kam in Kontakt mit der Malerei, fand zuerst Gefallen daran und dann in Hartmut Neumann einen Professor, der merkte, was seinem Studenten fehlte. Stapelweise brachte Neumann Berresheim in der Folge Ausstellungskataloge, fütterte ihn auf diesem Weg mit Informationen, die dieser nur so in sich aufsaugte. Die Faszination »Bildende Kunst« hatte den Filmstudenten erfasst. Er sattelte um.

Schnell war er sich jedoch sicher, dass Pinsel und Leinwand für ihn nicht das Medium der Wahl sein würden. Stattdessen sollten seine Bilder digital sein. Oder besser: digital entstehen. Konsequenterweise wechselte er im Jahr 2000 an die Kunstakademie Düsseldorf, weil dort mit Albert Oehlen um die Jahrtausendwende deutschlandweit der einzige Professor lehrte, der sich »einigermaßen ernsthaft mit der Arbeit mit Computern auseinandersetzte«. Nach einer Woche zog Berresheim einen entschlossenen Strich unter seine Düsseldorfer Zeit. »Länger braucht man nicht, um zu lernen, wie man über Kunst spricht. Dann wollte ich aber endlich loslegen«, erklärt er seinen abschlusslosen Abgang im Rückblick. »Und das nötige Know-How für meine Kunst konnte ich mir ohnehin nur selbst beibringen.« Autodidakt ohne Hochschulsegen: Seine Wurzeln im Punk verortend, hat Berresheim einen natürlichen Hang zur DIY-Bewegung. Solange sich Dinge auf eigene Faust erschließen lassen, sollte man diesen Weg auch gehen. So hielt er es als Künstler, als Musiker, als Labelchef und Projektraumbetreiber seit jeher. So hält er es bis heute. In Köln eröffnete er 2002 einen Ausstellungsraum namens »Brotherslasher« und begann, am Computer erste Bildwelten zu kreieren.

 

»DASS MAN MEINE ARBEIT BEGRIFFLICH NICHT WIRKLICH FASSEN KANN, ERÖFFNET MIR EINE ENORME FREITHEIT«

 

Machines of Loving Grace
Berresheims Verbindung zum Computer ist nicht minder natürlich als die zum Autodidaktentum. Seit der Grundschule beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten, die Rechner bieten. Das Programmieren hat er sich, wie sollte es anders sein, selbst beigebracht. Computer sind ihm durch die Jahrzehnte Experimentierfeld und Werkzeug, Kommunikationsmedium und Spielwiese geblieben; seine Kumpel, wie er es selbst formuliert, »die entgegen landläufiger Meinungen keine Probleme machen, wenn man sie richtig behandelt.« Und weil es gerade so gut passt, rezitiert er gleich einmal ein Gedicht, das Richard Brautigan im Jahr 1967 geschrieben hat. »All Watched Over by Machines of Loving Grace« erzählt vom Erträumen einer Zukunft, in der Maschinen und Menschen einander helfend friedlich coexistieren. Eine Art Anti-Terminator oder Anti-Matrix. Tim Berresheim lebt diese Zukunft im Rahmen der gegenwärtigen Möglichkeiten. »Wenn man so will, bin ich wohl ein kybernetischer Hippie.«

Vor gut fünf Jahren hat er Köln den Rücken gekehrt, ist zurück ins Dreiländereck gezogen. In Aachen ist alles ein wenig mehr beschaulich, das Gewusel nicht so aufgescheucht und auslaugend. »Wenn Du in Köln auf die Frage nach Deinem Beruf ›Künstler‹ sagst, fängt direkt ein Gespräch an. In Aachen heißt es höchstens ›Kann man davon leben?‹ und das war’s. Kaum jemanden hier interessiert, was ich mache. Das ist sehr angenehm.«

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Frei und unökonomisch

Dabei würde sich Interesse an seiner Arbeit durchaus lohnen. Zumal es eine derart konsequent digital erstellte Kunst zuvor nicht gegeben hat. Berresheims Herangehensweise ist so einzigartig, dass es für seine Werke nicht einmal passende Bezeichnungen gibt. Bilder, Tafelbilder, Drucke, Renderings, Belichtungen: Ein bisschen etwas passt von all diesen Zuschreibungen, doch nichts so richtig. Im Grunde arbeitet Tim Berresheim im luftleeren Raum, was ihn aber keineswegs stört. »Dass man meine Arbeit begrifflich nicht wirklich fassen kann, eröffnet mir eine enorme Freiheit.« In dieser Freiheit tobt er sich aus, erschafft ineinander verschlungene bunte Fontänen aus Abermillionen Kugeln, mit Farb- und Bildlandschaften komplett »tätowierte« digitale Schaufensterpuppen oder wasserfallartige Haarverwirbelungen. Er pumpt virtuelle Flüssigkeiten mit einem bestimmten Druck durch ein imaginäres Rohr mit Löchern und friert den berechneten Verlauf dieses Prozesses ein, macht das Rohr durchsichtig und übrig bleibt ein Streumuster.

Für die Entstehung solcher Bilder nutzt er jede Software, die ihm hilfreich erscheint. Sei es ein Wettersimulationsprogramm oder ein 3D-Simulator für Physikexperimente: Tim Berresheim denkt sich in die Programme ein, programmiert im Bedarfsfall fehlende Features selbst nach und lässt den Maschinenkumpel rotieren. Wobei ein Computer allein die komplexen Daten seiner Werke oft gar nicht berechnen kann. Drei Rendering-Farmen, wie sie in der Film- und Spieleindustrie verwendet werden trieb Berresheim für seine Bildreihe »Tarnen & Täuschen« über die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Erst bei der vierten Farm kam er zum gewünschten Ergebnis. 600 Rechner brauchten dafür fast sieben Tage Zeit. Kostenpunkt: 2.500 Euro nur für die Erhebung der Datensätze.

»Die Daten zu schätzen, wäre sicher ökonomischer gewesen. Aber anders als alle anderen darf Kunst unökonomisch sein. Und nur so kam ich auf das gewünschte Ergebnis.« Ein Ergebnis, das bis ins kleinste Detail exakt war. Wie überhaupt alles, was die Rechner tun, exakt ist. Fehler, so sie denn vorkommen sollen, muss Tim Berresheim im Vorhinein mitdenken und selbst durch Tricks und Kniffe bei der Programmierung entstehen lassen – Farbspritzer etwa, die leicht neben der »gemalten« Spur liegen. »Das Auge des Betrachters erwartet solche Fehler. Das Loslassen vom rundum Perfekten, um nicht mit dieser Erwartung zu brechen, bedeutet einen Wandel im Umgang mit Fehlern und letztlich einen weiteren wichtigen Schwenk in der digitalen Bildherstellung.«

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Spazieren im Kunstwerk

Berresheims Kunst kommt in aller Welt an. Von Mailand bis Los Angeles, von Chicago bis Berlin saugen seine Ausstellungen die Leute in die Museen und Galerien. »Anerkennung ist wirklich kein unangenehmes Gefühl. Mein Ego wird dadurch schon ordentlich gepampert.« Erst im vergangenen Jahr wurde sein Schaffen ausgiebig im Düsseldorfer Kunstverein gewürdigt. Im Januar 2016 wird es einmal mehr zu einer Ausstellung nach New York gehen. Tim Berresheim steckt bereits mitten in deren Vorbereitungen. Parallel dazu arbeitet er auch an seinem herbstlichen Heimspiel. Ab Oktober zeigt das Ludwig Forum für Internationale Kunst Arbeiten von ihm. Und wie schon bei vorherigen Ausstellungen belässt er es nicht beim Aufhängen von Bildern.

Er denkt und gestaltet den gesamten Ausstellungsraum mit, lässt Realität und Bild miteinander verschwimmen. Dank einer Kooperation mit der RWTH gelingt das bei der Ausstellung im Ludwig Forum ganz besonders krass. Mittels Shuttle-Bus besteht für die Besucher die Gelegenheit eines Besuchs der »Aixcave« auf der Hörn. Hier lockt eines seiner »Tarnen & Täuschen«-Werke als betretbarer Virtual-Reality-Raum. Jedes noch so kleine Teil dieses Bildes wird man dann herumschubsen oder zum Kollaps bringen können. Ein Spaziergang mitten im Kunstwerk: nur ein Beispiel dafür, was künftig mit Tim Berresheims Kunst, mit deren Daten noch möglich sein wird. Schließlich hat die Zukunft gerade erst begonnen. \

interviewberresheim057NEO-Redakteur Christoph Löhr im Gespräch mit Tim Berresheim