SM ist ein Tabuthema in der Gesellschaft, besonders junge Menschen leiden unter der mangelnden Akzeptanz ihrer Vorlieben. Bei einem regelmäßig in Aachen stattfindenden Stammtisch können sich junge BDSMler austauschen. NEO-Autorin Marie Ludwig war bei einem Treffen dabei.
Heute ist wieder Stammtisch. Kakao, Cola, stilles Wasser – Bier trinkt hier keiner. »Wenn ich mit meinem Freund auf Partys gehe, dann schauen wir uns nach dem ersten Radler immer nochmal an«, sagt Anne*. Trinken oder lieber noch Spielen? Anne ist 19, studiert in Aachen und steht auf BDSM.
»Es war einfach schon immer da«, sagt Anne, »sogar noch bevor es in den sexuellen Kontext rückte.« Schon im Kindergarten mochte sie Fesseln und den rauen Umgangston bei Räuber und Gendarm: »Man findet sich selbst komisch, weil man ja immer gesagt bekommt ‚Das ist doch nicht normal‘«. Doch was sei denn normal? Als Jugendliche habe sie nach anderen gesucht, die das Gleiche fühlten und stieß im Internet auf den jungen Stammtisch für BDSM. Dieser wird vom Verein SMJG deutschlandweit umgesetzt. »Das war ein vollkommen berauschendes Gefühl«, sagt sie. »Man ist einfach froh, kein Freak zu sein, und merkt: Ich bin nicht allein.«
Bei einer BDSM-Session kann es ganz unterschiedliche Geschmäcker geben. Anne mag Fesseln. Lena* mag Schmerzen. Sie ist 21 und »maso«. Auspeitschen, schlagen, erniedrigen – in einer einvernehmlichen BDSM Session sei dies keine Gewalt: »Ich will es ja.« Von ein paar Spielen sind zwar auch mal blaue Flecken und Striemen geblieben. »Aber für mich sind es keine Verletzungen – es sind Spuren«, sagt Lena. Vielmehr sei das Sich-Schlagen-Lassen eine Kontrollabgabe und wesentlich intimer als der »normale« Sex: »Man gibt sich in die Hände des anderen.« Vertrauen sei hierbei das A und O. Sex hingegen empfindet sie nur als etwas rein Körperliches. Bei BDSM sei vor allem die Psyche vollkommen wach. »Der absolute Schockmoment wäre, wenn der Dom beim Spielen plötzlich ›Ups‹ sagen würde«, erklärt Lena lachend.
BDSM – »Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism« – beschreibt sehr unterschiedliche sexuelle Spiele. Diese reichen von Dominanz und Unterwerfung über Lustschmerz durch spielerische Bestrafung bis zu Fesselungsspielen. SSC lautet das Grundprinzip von BDSM: »safe, sane and consensual«. Es bedeutet BDSM-Sessions sicher, mit klarem Verstand und in gegenseitigem Einverständnis auszuführen.
»Wenn es doch mal beim Spielen zu weit geht, dann gibt es immer noch das Safeword«, sagt Lena. Ohne Kommunikation würde BDSM gar nicht funktionieren. Auslöser sei nicht, wie in ‚50 Shades of Grey‘ Thema, dass ein misshandelter Junge als Mann das Bedürfnis verspürt, seine Partnerinnen zu versohlen. Das habe nichts mit tatsächlichem BDSM zu tun. Man rede viel mit dem Partner. Grenzen würden individuell abgesteckt, Freiwilligkeit ohne Zwang sei die Grundlage. DAS BDSM gibt es nicht, sondern ganz viele Möglichkeiten. Mal Rollenspiele, mal Schläge, mal ein Vorspiel mit Sexspielzeug. All das wovon die sogenannten »Vanillas« – alle die keine BDSM-Spiele vorziehen – keine Ahnung hätten.
Sunny* ist 19 und besucht den Stammtisch erst seit Kurzem. Ihren Eltern habe sie auch von ihrer Neigung erzählt. Jetzt stehe die Welt zuhause Kopf: »Meine Mutter versteht mich nicht – sie hat schon vier Psychologen kontaktiert und möchte mich gerne in Behandlung geben«, sagt Sunny kopfschüttelnd und spielt mit dem »Ring der O« – ein Ring, der als ein Erkennungssymbol für BDSMler gilt. Auf dem schlichten Ring ist in der Mitte ein weiterer kleiner Ring angebracht. Viele Vanillas könnten solche sexuellen Neigungen oft nicht verstehen. »Ganz schwierig wird es mit Vanilla-Partnern«, findet Lena. Entweder man mache Kompromisse, gebe seine Bedürfnisse auf oder lasse es direkt bleiben. Lena hat sich entschieden. Sie lernt nur noch Partner aus der Szene näher kennen.
Rund dreißig junge BDSMler treffen sich beim Stammtisch einmal im Monat. Maximal 27 Jahre alt darf man sein. »Natürlich gibt es auch einen Stammtisch für Ältere, aber da ist das Publikum ein ganz anderes«, sagt Anne. Es ginge vor allem darum, einen Schutzraum für junge Leute zu schaffen. »Wir beantworten vor allem Fragen«, erklärt sie. Denn wer BDSM ausprobieren wolle, der würde es eh tun. Und ohne Vorbereitung könne man auch viel falsch machen.
Beispielsweise beim Würgen. »Du kannst richtig und du kannst falsch würgen«, sagt Jan*. Er ist 24 und studiert in Maastricht. Grundsätzlich gebe es hierbei zwei »richtige« Arten: Das Würgen durch eine Unterbrechung der Blutzufuhr – »da wird man ganz flauschig im Kopf«, wirft Anne ein – und das Würgen durch Luftabschnüren.
Dom und Sub – Im BDSM wird der Bestimmer »Top« oder »Dom« genannt. Er oder sie übernimmt die kontrollierende Rolle, fügt Schmerz zu oder erniedrigt das Gegenüber. Den unterwürfigen Part übernimmt der als »Bottom« oder »Sub« bezeichnete Partner. Als Sub setzt man sich dem Dom für die Dauer der Session freiwillig aus.
Dass jemand falsch würge, passiere jedoch äußerst schnell: »Man darf es nie zu lange machen und Ungeübte können leicht den Karotis Sinus – den Ursprung der inneren Kopfschlagader – erwischen, dann wird der Partner direkt ohnmächtig«, sagt Jan ernst. Man müsse einfach wissen, was man tut, erklärt er, und genau deshalb sei es auch so wichtig, jungen Menschen zu ermöglichen, über BDSM offen zu sprechen. In Deutschland hätten Jugendliche unter 18 kaum Ansprechpartner. Der BDSM-Jugendtreff setzt sich deshalb für Aufklärung ein: »Besser man macht es richtig und bringt dabei niemanden in Gefahr.« Und deshalb existiert nach unten hin keine Altersbeschränkung. Aber Werbung gäbe es auch keine. »Nur wer nach uns im Internet sucht, findet uns auch.«
Sunny, Anne, Lena und Jan leeren ihre Getränke. »Bastelst du heute noch an dem grünen, glitzernden Teil, Jan?«, fragt Anne und kichert. »Vielleicht«, entgegnet er und grinst. »Aus dem Baumarkt erschafft er die erstaunlichsten Spielzeuge«, bemerkt Anne. Manchmal, da üben sie zusammen Fesseln – das ginge auch mit Klamotten an. »Eigentlich ist es ein bisschen wie Tanzen«, sagt Jan. Man könne es als Sport oder Hobby sehen oder aber als intime Erfahrung mit dem Partner. »Bei BDSM ist es nicht anders. Nur vielleicht, dass man es definitiv ohne literweise Bier ausleben sollte«.
BDSM ist gleichzeitig Vorliebe, Subkultur und Hobby. Der Stammtisch klärt Interessierte auf. Denn nur wer aufgeklärt ist und BDSM bei vollem Bewusstsein auslebt, wird dem Anspruch auch gerecht: Klar sein, dann spielen. \
*Namen von der Redaktion geändert.