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Tiere (nicht) essen – Tag 5: Small-Talk-Gewissen und das Schreien der Schweine

Fünf Tage sind rum. Erkenntnis: so what? Es ist tatsächlich einfacher als gedacht. Gestern zum Brunch mit Familie und Freunden habe ich Omelett gemacht. Den Speck für die anderen habe ich in einer zweiten Pfanne gebraten, klar lief mir dabei das Wasser im Mund zusammen. Aber ich war nicht mal für eine Sekunde schwach.

VON LUTZ BERNHARDT

Mir ist bewusst, dass sich das für einen Vegetarier mit mehreren Jahren Fleischlos-Erfahrung lächerlich anhören muss. Für mich ist es eine überraschende Erkenntnis.

Ich denke über die Vegetarier in meinem Umfeld anders, seit ich mit dem Test angefangen habe. Vielleicht mit mehr Respekt. Einfach durch den Wechsel der Perspektive. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf alles, was in Sachen Geschmack, Essenszubereitung oder Einkauf passiert, sondern auch auf die soziale Interaktion mit Fleischessern. Ich bemerke zum Beispiel, dass Gespräche mit Freunden und Bekannten häufig nach dem gleichen Muster verlaufen. Vorneweg: Echtes Unverständnis für die Aktion habe ich noch kein einziges Mal erlebt, tatsächlich begegnet man mir mit Interesse und teilweise sogar mit Sympathie. Aber jedes Mal wird mein Tun und dessen Wirkung anhand von Kriterien hinterfragt, die mich stutzig machen. Völlig kurios finde ich zum Beispiel die häufige Bemerkung: »Aber Fisch? Fisch ist doch kein Fleisch!« Nun ja, aber Fische sind Tiere. »Und Garnelen und Muscheln?« Pfff… Auch oft gehört: »Dann musst Du aber auch Eier und Milch weglassen!« Witzigerweise fragen eher unbekanntere Menschen nach meiner Verdauung. Andere wiederum versichern ungefragt, dass Fleisch ihnen ja auch total unwichtig sei und dass sie sofort darauf verzichten könnten.

Interessant ist: Sobald das Thema im Raum ist, stimmen alle überein, dass unser Fleischkonsum maßlos und ethisch bedenklich ist. Warum also hat dieser Gedanke eine Halbwertszeit auf Small-Talk-Niveau? Weil wir verdrängen, um uns nicht mit unserem schlechten Gewissen zu belasten.

Als ich noch studiert habe, bin ich mal in einer Autobahnauffahrt an einem umgekippten Schweinetransporter vorbeigefahren. Die Autos fuhren im Schneckentempo, weil eine Spur gesperrt war. So hatten alle viel Zeit, die Szene eingehend zu betrachten. Der Anhänger lag auf der Seite. Die Schweine lagen Schicht auf Schicht, zappelten und japsten. Durch die Gitterstäbe konnte ich sehen, dass ganz oben auf dem Tierberg einige Schweine auf den anderen umher staksten, ihre Beine versanken immer zwischen den Körpern der anderen. Darunter versuchten andere, sich hinzustellen, wurden von rechts und links und oben immer wieder runtergedrückt. Weiter unten lugten zwischen den Eisenstäben Rüssel, Füße, Ohren heraus, manche Tiere verharrten bewegungslos und stierten panisch nach draußen. Feuerwehrleute standen ratlos vor dem Transporter. Ich machte geistesabwesend das Radio leiser. Das Geschrei der noch lebenden Schweine war lauter als der Motorenlärm von der Autobahn.

Ich erinnere diesen Moment und weiß jetzt auch wieder, dass ich mir damals fest vorgenommen habe, kein Schweinefleisch mehr zu essen. Keine Ahnung, wie lange der Vorsatz hielt. Nicht lange jedenfalls. \

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 1: GAG-REFLEX UND BEKLEMMUNG

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 2: ZU VIEL MÜSLI UND GESCHMORTER HUND NACH HOCHZEITSART

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 3: DIE SACHE MIT DER MORAL UND PARTY MIT VEGGIE-BURGERN

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 9: TOFU-BALLETT UND DIE SCHEISS-ZEIT DER TRUTHÄHNE

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 10: GROSSES INTERVIEW ZUR PREMIERE VON »TIERE ESSEN« AM THEATER AACHEN