Verstörte Romantik
Oper von Jacques Offenbach Text von Jules Barbier
, Rat Krespel oder Die Abenteuer einer Silvesternacht. Im Libretto von Jules Barbier sind die verschiedenen männlichen Protagonisten der Erzählungen in der Person des Dichters Hoffmann vereint. Hoffmann vertreibt sich die Wartezeit auf die von ihm geliebte Sängerin Stella mit einem heftigen Trinkgelage in Luthers Weinkeller; dort erzählt er den Anwesenden, gereizt durch seinen Widersacher Lindorf, von drei vergangenen Liebschaften. In Stellas Wesen meint er, Charakterzüge dieser drei Geliebten wieder zu erkennen. Zusammen mit der Muse der Dichtkunst, die sich als sein Freund Niklaus ausgibt, begibt Hoffmann sich auf eine rauschhafte Reise in die Vergangenheit und durchlebt die drei Liebesgeschichten in seiner Erzählung erneut. Erst verliebt er sich, blind vor Liebe, in die Puppe Olympia, die jedoch von ihrem Schöpfer Coppelius zerstört wird. Dann entbrennt er in Liebe zu der Sängerin Antonia, die jedoch nicht mehr Singen darf, da sie sonst sterben wird. Dr. Mirakel, der sie angeblich heilen will, verführt Antonia jedoch wieder zu singen, so dass sie stirbt. Schließlich verfällt Hoffmann der Kurtisane Giulietta, die ihm im Auftrag von Dapertutto sein Abbild stiehlt. Am Ende der Erzählung bleibt Hoffmann hoffnungslos betrunken, verzweifelt und von allen anderen verlassen mit der Muse alleine in Luthers Taverne zurück. Da Offenbach starb ehe er die Orchestrierung und Szenenanordnung Oper komplettiert hatte, wurde und wird seine Oper immer wieder in verschiedensten Fassungen gespielt. Das hat dem Erfolg von Hoffmanns Erzählungen jedoch keinen Abbruch getan; Offenbachs Oper ist eine der mit Abstand populärsten des Repertoires aufgrund der Geschichte, die zwischen Traum, Illusion und Wirklichkeit schwebt, und der Musik, die diese Triade phantastisch einfängt und meisterhaft zwischen karikierend-komisch und expressiv-tragisch hin und her wogt. Die verschiedenen Gegenspieler Hoffmanns — Lindorf, Coppelius, Dr. Mirakel und Dapertutto — werden in der Regel und auch hier in Aachen von einem Sänger verkörpert, so dass dieser als Motor der emotionalen Zerstörung Hoffmanns erscheint.
Cornelia von Rad bringt Offenbachs Oper in teils düsteren, verstörenden Traumbildern und teils romantischen Szenen auf die Bühne. Auch die komischen Elemente, die unmittelbar in tragischere Geschehnisse eingebettet sind, kommen nicht zu kurz; sie geraten im Gegenteil manchmal etwas zu lang und slapstickhaftig. Von Rad schafft es auf jeden Fall eindrucksvoll Hoffmanns Verfall eindrücklich vor Augen zu führen. Sie lässt ihn quasi in einem unerbittlichen Sog, der von seinem Widersacher meisterhaft gelenkt wird, immer tiefer in Verlust, Enttäuschung und Trunksucht taumeln. In ihrer Konzeption unterstützt die Muse/Niklaus Hoffmanns Gegner, da sie eifersüchtig ist. Sie will ihm sein Scheitern vor Augen führen. Am Ende entgleitet ihr jedoch die Kontrolle und sie scheitert gewissermaßen mit Hoffmann, bei dem sie als einzige bleibt und mit seinem Schicksal zu versöhnen sucht. Die Sichtweise der Muse als Verbündete des Bösewichts ist etwas überraschend und führt beim Zuschauer zu einiger Verwirrung. Auch andere Abweichungen der traditionellen Sichtweise erschweren es zum Teil, dem Ablauf der Handlung zu folgen — wenn man nicht mit dem Sujet der Oper sehr vertraut ist. Warum nur verliebt sich Hoffmann in die Puppe Olympia, die von der Regisseurin übrigens recht schäbig und leicht angeschlagen auf die Bühne gestellt wird, ohne dass er die übliche Brille trägt, die die Wirklichkeit verklärt? Sehr gelungen ist allerdings der Einfall Olympia nicht als Aufziehpuppe darzustellen, sondern als Apparat der vom Strom abhängt; besonders eindrucksvoll sind in diesem Zusammenhang die Bilder der Zerstörung Olympias. Auch die Inszenierung des Giulietta-Aktes ist nur schwer nachzuvollziehen mit zwei Morden anstatt einem und dem, leider gestrichenen, zufälligen Gifttod Giuliettas und die Pause mitten im Antonia-Akt ist äußerst unglücklich gewählt. Dennoch schafft es von Rad, die Selbstzerstörung Hoffmanns konsequent und in vielen aussagekräftigen Tableaux auf die Bühne zu bringen und das Publikum mitleiden zu lassen.
Offenbachs Partitur ist äußerst anspruchsvoll mit ihren stetig wechselnden Tempi und Stimmungen, wird aber vom Sinfonieorchester hervorragend bewältigt dank der wunderbaren und einfühlsamen Begleitung Daniel Jakobis. Star des Abends ist eindeutig Mélanie Forgeron mit ihrem satten, gut geführten Mezzosopran als Muse/Niklaus — eine wieder äußerst beeindruckende Leistung wie ihre Charlotte im Werther letzte Spielzeit. Yikun Chung als Hoffmann ist jedoch etwas enttäuschend als Hoffmann. Sicherlich besitzt er einen schön timbrierten, tragfähigen Tenor, der keine Mühe in der Höhe hat. Doch den Hoffmann kann man nicht mit voller Power durchziehen, nach der Pause gar teilweise schreien! Hoffmann ist ein gebrochener, zerbrochener Charakter, der mit viel mehr Nuancierung gesungen werden muss als Chung dies tut. Nur in wenigen Momenten im Antonia-Akt gelingt ihm dies. Die Widersacher Hoffmanns singt Wong-jo Choi, dessen Darbietung leider auch etwas zu wünschen übrig lässt. Trotz einer guten sängerischen Leistung (die Stimme ist inzwischen im Fort allerdings ziemlich unruhig), geht ihm jede Dämonie ab, die ein Sänger für diese Rolle einfach braucht. Irina Popova gibt eine anrührende, warme Antonia — endlich wieder eine Rolle, die wirklich zu ihrem Fach passt. Die Kurtisane Giulietta wird von Johanna Stojkovic mit sicherem Sopran verkörpert, wenn auch manchmal etwas wenig diszipliniert in der Stimmführung. Mitreißender hätte sie die Giulietta freilich verkörpern können, wäre ihr Kostüm (Sabine Blickenstorfer) nicht so grauenhaft gewesen, wie auch die Kostüme von Antonia und der Puppe Olympia. In dieser Partie verkauft sich Michaela Maria Mayer leider unter Wert gemessen an ihrer Gilda im Rigoletto. Die Koloraturen singt sie unsauber und undiszipliniert; in der absoluten Höhe ist die Stimme unangenehm scharf. Abschließend zwei Sonderlobe: Das erste geht an Andreas Joost, der verschiedene Rollen verkörpert. Das Theater Aachen kann froh und stolz sein, einen solchen Spieltenor in seinen Reihen zu haben. Das zweite Lob geht an Chor und Extrachor, die zwar unter einer extrem starren, langweiligen Regie zu leiden haben, aber wieder mal eine Spitzenleistung abliefern.
Text: Tanja Sprungala
Foto: Wil van Iersel
Termine:
15.6., 15 Uhr
20.6., 19.30 Uhr
22.6., 18 Uhr
24.6., 19.30 Uhr
26.6., 19.30 Uhr
29.6., 18 Uhr
jeweils Bühne, Theater Aachen
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