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Der Feinarbeiter: Schauspieler Julian Koechlin

Wer gerne Netflix schaut, könnte vielleicht schonmal über den Schauspieler Julian Koechlin gestolpert sein. Während der 27-Jährige bei uns in Deutschland noch fast unbekannt ist, hat er sich mit Produktionen wie dem LGBT-Film »Mario« und der Krimiserie »Wilder« in seinem Heimatland Schweiz bereits einen Namen gemacht. Was führt ihn ans Theater Aachen?

TEXT SIMON WIRTZ
FOTOS UPMACHER

Mütze, Rollkragenpullover – und dazu ein verschmitztes Lächeln: Julian Koechlin empfängt mich am frühen Mittwochnachmittag im kleinen, gemütlichen Café des Mörgens. Hier, wo sonst in der Vorstellungspause Gläserklirren und Gelächter widerhallen, hört man jetzt das Parkett unter den Füßen knarzen. Und irgendwie hat man das Gefühl, gerade eine Teestube aus dem 19. Jahrhundert betreten zu haben. »Schön, dass du gekommen bist!« Julian sitzt am kleinen, runden Tisch, mitten im Raum. Vor sich nichts als eine Thermoskanne mit Kaffee, zwei Tassen mit Untertellern – und einer Schachtel Mikado-Sticks. »Die sind super lecker, sind die Originalen«, schmunzelt der junge Schauspieler, während er seelenruhig an einem Stick knabbert, und mir mit der anderen Hand die geöffnete Schachtel hinhält. Dass er vor unserem Treffen schon vier Stunden geprobt hat, und für seine Rolle als Pinkman-Verschnitt »Jerome« im Stück »Furor« am Abend ein ganzer Katalog an Text sitzen muss, macht ihm nichts. »Da gewöhnt man sich dran. Ich spiele ja mehrere Stücke parallel, und oft probt man morgens etwas ganz anderes, als man abends spielt. Nachmittags, zwischen Probe und Aufführung, habe ich vier Stunden Freizeit. Zum Essen, Schlafen, mit Freunden quatschen. Damit ich hier in Aachen meine Verbindung in die Heimat nicht ganz verliere, nehme ich manchmal noch Radiowerbespots für Schweizer Unternehmen auf. Das mache ich in meinem umgebauten Kleiderschrank. Natürlich muss dann bei der Vorstellung abends der Text trotzdem sitzen.«

Schweizer Tatort
Julian ist erst 27 – und schon Vollprofi. Nach dem Fachabi mit Schwerpunkt Kunst und Gestaltung schrieb er sich an der Schauspielschule in Bern ein. »Fünf Jahre habe ich Schauspiel studiert, und das war eine wichtige Zeit. Einerseits hab ich total viele Leute getroffen, zu denen ich auch heute noch Kontakt habe. Wirklich gute Freunde. Andererseits war das Studium an sich aber eher langweilig, und deswegen habe ich nebenbei noch gejobbt und erste Erfahrungen in kleinen Komparsenrollen vor der Kamera und am Set gesammelt. Ich wollte viel ausprobieren.« Klar ist: Julian braucht Action. Herumsitzen ist für ihn keine Option. Kaum mit dem Studium fertig, bewarb er sich für die ersten richtigen Rollen in verschiedenen Produktionen, wollte länger vor die Kamera, das Gelernte umsetzen. Und es klappte: »Ich hatte echt Glück! Ich bekam einige Rollen, in Spielfilmen und Serien, und dadurch kennen mich in der Schweiz jetzt viele.« Ungelogen. In der Schweizer Krimiserie »Wilder«, die auf dem ARD-Pendant SRF gezeigt wurde und erst kürzlich vom RTL-Streaming-Portal »TVnow« gekauft wurde, zum Beispiel. In »Wilder« spielt er den jungen, ­drögen Jakob, der als Sohn der Dorfladenbesitzerin durch seine leichte sexuelle Störung und den ein oder anderen Wutausbruch das idyllische, verschneite Schweizer Dörfchen und die gerade stattfindenden Mordermittlungen ziemlich durcheinanderbringt. Und wie er den spielt. Humorvoll und charmant im einen ­Moment, zornig und hinterhältig im nächsten: das junge Talent geht in seiner Rolle voll auf. Nicht weniger ausdrucksstark, mitreißend und überzeugend ist Julian in der Filmproduktion »Mario«, die vom Outing im Profifußball ­handelt (auch auf Netflix in Deutschland zu ­sehen).

»Wollte da raus«
Aber damit nicht genug. Jetzt steht Julian auch noch auf der Theaterbühne. Und zwar nicht an irgendeinem Theater in der Schweiz, sondern in Aachen. Richtig gelesen. Wie kommt das? »Die Schweiz ist wunderschön. Tolle Landschaft, alles ist schön sauber, da schlagen sich zwei Straßenreiniger quasi um ein Bonbonpapier, während es bei euch einfach wochenlang liegen bleibt. Also wegen der Sauberkeit bin ich nicht gekommen«, weiß er. »Aber um ehrlich zu sein, die Schweiz ist klein, und ich wollte da einfach mal rauskommen. Was anderes sehen, mit anderen Leuten zusammenarbeiten. Wer in der Schweiz bei ein, zwei Produktionen mitwirkt, der kennt quasi alle wichtigen Leute im Filmgeschäft. Die liebsten Menschen, tolle Leute. Aber um noch mehr dazuzulernen, war es an der Zeit, die Heimat mal für eine Weile zu verlassen. Und da war eine Stelle als Schauspieler am Theater Aachen genau das Richtige: hier lerne ich viele andere Kulturmacher kennen, bekomme neue Eindrücke und lerne ständig dazu. Außerdem verstehe ich mich super mit den anderen Schauspielern, wir sind wie eine kleine Familie.«

Charme und Sympathie
Genug gequatscht – den besten Eindruck von einem Schauspieler bekommt man noch immer, wenn man ihn auf der Bühne sieht. An einem Samstagabend im Dezember lädt Julian ins Theater Aachen ein: gespielt wird »Noch ist Polen nicht verloren« von Jürgen Hoffmann, basierend auf dem Filmscript von Melchior Lengyel zu »Sein oder Nichtsein«. Worum es geht? Das Stück spielt Anfang der 1930er, zur Regierungszeit Hitlers. Im polnischen Posen herrscht Sorge und Aufregung, denn die Wehrmacht rückt immer näher. Protest üben nicht nur die »Normalbürger«, sondern auch die Kulturmacher: so wird am Stadttheater neben dem altbewährten Hamlet auch die antifaschistische Komödie »Gestapo« gezeigt. Obwohl Julian bei all dem keine wirkliche Hauptrolle spielt, glänzt er in seiner Rolle als »Andrzej«, polnischer Offizier der Luftwaffe, und rückt immer wieder in den Fokus des Geschehens: Mit viel Charme und Sympathie spielt der junge Schweizer die Rolle eines Mannes, der nicht nur wegen seiner Affäre mit der berühmten, schönen Schauspielerin Maria ­Tura, Ehefrau des »Hamlet«-Hauptdarstellers Joseph Tura in Deckung bleiben muss. Nein, auch die Nazis suchen ihn. Als Maria ihren heimlichen Verehrer im Ehebett versteckt, und Ehemann Joseph ihn dort entdeckt, kommt es nicht zur erwarteten Explosion. Es kommt anders – ganz anders als erwartet. Denn Polen ist im Ausnahmezustand. Wer Julian in Produktionen wie »Mario« und »Wilder« gesehen hat, erkennt ihn hier kaum wieder. Der 27-Jährige spielt seine Rolle, als würde er sie schon immer spielen. Charmant, verführerisch und auch zornig – zwischen den vielen verschiedenen Gemütslagen, in die Julian sich auf der Bühne begibt, liegen oft nur wenige Augenblicke. Der Schauspieler selbst beschreibt das als »Feinarbeit«: »Beim Schauspielen auf der Bühne ist Präzision gefragt, das ist feinste Arbeit, wie ein edles Uhrwerk«. Ganz der Schweizer.

Überzeugt euch selbst
Wer Julian selbst sehen möchte, sollte ins Theater Aachen gehen. Am 14. Februar wird – zum allerletzten Mal – das Stück »Noch ist ­Polen nicht verloren« auf der Bühne des Theater Aachen aufgeführt. Ganz anders, aber mindestens genauso dramatisch ist »Furor«, in dem Julian als Pinkman-Verschnitt »Jerome«, der einen Lokalpolitiker wegen eines Autounfalls anklagt, glänzt. Sehen könnt ihr das Stück bis Anfang März in der Kammer. Und auch ­Musicalfans gehen nicht leer aus: ab dem 18. Januar ist der 27-Jährige im David Bowie-­Musical ­»Lazarus« zu sehen. \

Infos und Tickets unter
theateraachen.de