Magazin

»Ich bin nicht bescheiden« – Künstlerin Ana Sous

Mitten im sozialen Brennpunkt lässt die junge Künstlerin Ana Sous (29) ihre Vision zur Wirklichkeit werden: Im Atelierhaus Aachen arbeitet sie mit 30 anderen Künstlern daran, einen Ort der Begegnung für alle zu schaffen – und lässt dabei gesellschaftliche (Vor)urteile außer Acht. Ein Besuch.

TEXT SIMON WIRTZ
FOTO UPMACHER

Ana, 29 Jahre alt, studierte in Köln einen Bachelor in Kunstgeschichte, in Berlin hat sie dann den Master gemacht. Ambitioniert, alternativ, aber nicht außergewöhnlich. Wenn da nicht die zahlreichen Ausstellungen und Projekte wären, die Ana in den letzten zehn Jahren mitgeprägt hat, die Seiten füllen, wenn man sie denn einmal auflisten würde. Von der Bonner Bundeskunsthalle über das Aachener Ludwig Forum bis hin zu etlichen Projekten mit Flüchtlingen in Aachen ist hier alles dabei. Sogar für einen Kunstverlag hat sie gearbeitet. Das erste Projekt, an dem sie mitgewirkt hat, ist schon gute zehn Jahre her, noch vor dem Abi war das.

Neu denken
Jetzt, mit 29, ist Ana angekommen. Das Studium hat sie beendet, und letztendlich kehrte sie Berlin den Rücken und kam zurück in ihre Heimatstadt Aachen. Ihr erster großer Job: das Atelierhaus im Nordviertel. 30 Künstler teilen sich hier zahlreiche Ateliers, arbeiten an eigenen Projekten, diskutieren miteinander. Mittwochmittag, kurz nach 13 Uhr. Ana wartet im Ausstellungsraum auf uns, in dem gerade eine Gastausstellung gezeigt wird. Direkt nebenan, in einem spärlich eingerichteten, fast kargen Raum, duftet es nach frisch aufgebrühtem Kaffee. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch mit vier Stühlen, an den sie uns bittet. »Also, damit wir das geklärt hätten, ich bin nicht bescheiden«, sind ihre ersten Worte. Wie sich das zeigt? In ihrem Denken. Denn für die junge Künstlerin und Kunsthistorikerin ist das Atelierhaus nicht nur ein Ort, wo sich Künstler und Besucher begegnen können, und wo der ein oder andere Workshop oder Vortrag stattfinden könnte. Ana sieht darin die Chance, etwas viel Größeres zu verwirklichen. Die Vision, die sie über Jahre entwickelte, und die sie mit jedem Projekt, mit jeder weiteren Erfahrung in der Kunstwelt ein Stück weiterentwickeln konnte. Letztlich geht es um nicht weniger als darum, Kunst und ihre Funktionen neu zu denken, alte Ideen über Bord zu werfen. Dass sie damit bei vielen aneckt, ist ihr recht. Denn das ist es wert.


Begegnung durch Kunst

Was kann uns die Kunst geben? Geht es nur um schöne Bilder, an denen sich Hochstudierte hinter verschlossenen Türen ergötzen? Geht es nur um Ruhm? Das ist Ana zu wenig. Damit kann und möchte sie sich nicht abfinden. Die Lage ihres neuen Arbeitsplatzes, inmitten eines sozialen Brennpunkts, kommt ihr da gerade recht – denn das Nordviertel ist perfekt, um die Vision von der Begegnung ganz unterschiedlicher Menschen durch Kunst Wirklichkeit werden zu lassen.

»Die Türen aufreißen, einen großen Tisch inmitten der Galerie aufstellen, ins Gespräch kommen mit jedem, über und durch die Kunst, das wünsche ich mir für das Atelierhaus«, sagt sie. Ein großer Plan. Aber Ana hat auch großen Tatendrang. »Ich hab nicht all das studiert, um irgendeine Galerie zu hüten. Ich möchte mit Kunst etwas bewegen. Während meines Studiums konnte ich das schon zusammen mit meiner Mutter tun, im Projekt »Ahoi 2 you«. Flüchtlinge und Migranten waren zur Zeit des Projekts, also ab 2015, ja ein Riesenthema, in den Medien, in der Gesellschaft. Klar, auch hier in Aachen gab es damals viele hilfsbereite Menschen und Initiativen, aber es kamen so viele Flüchtlinge, dass ich das Gefühl hatte, jeder muss einfach was tun, eine gewisse Verantwortung wahrnehmen. Es wird sich der Mund über sie fusselig geredet, besonders in der Politik, aber sie werden viel zu wenig abgeholt, integriert. Und da mussten wir was machen«, erinnert sie sich stolz.

Ahoi!
Ana, ihre Mutter und einige Mitstreiter haben sich also zusammengesetzt und einen Plan entwickelt. Begegnung war das Stichwort. So haben die Künstler zusammen mit Aachener Flüchtlingen ein Schiff gebaut, was in einer Prozession durch die Straßen Aachens getragen wurde, um ein Statement für Humanität zu setzen. 2017 wurde dann ein Theaterstück mit Flüchtlingen entwickelt, das ihnen und auch den Zuschauern zeigte, dass Flüchtlinge wahrgenommen werden, bedeutsam sind, eine Rolle spielen. Bis heute geht Ana jeden Freitag ins Ludwig Forum, und macht dort Kunst mit Flüchtlingen, isst mit ihnen zu Abend. »Das Projekt war ein Bruch für mich. Da habe ich gemerkt, dass Kunst wirklich das Richtige für mich ist, und vor allem, wozu ich die Kunst nutzen sollte und möchte.«Im Atelierhaus, im Nordviertel, möchte Ana als neue Leiterin diese Arbeit jetzt fortsetzen. »Hier im Atelierhaus werden wir kein Schiff bauen, aber ich habe mir ein paar gute andere Sachen für das Atelierhaus überlegt«, erklärt sie. »Erstmal wohnen hier total viele Kinder und Jugendliche, und besonders die möchte ich für Kunst und Kultur begeistern. Deswegen finde ich kulturelle Bildung für Jüngere sehr wichtig. Es geht auch darum, die Leute mit einem geeigneten Rahmenprogramm abzuholen. Mit Musik, Essen, einem Fest. Dass sie mal merken, dass es ein Kunsthaus gibt, in dem sie willkommen sind. Und dass sie deswegen vorbeikommen, sich hier umschauen, mitmachen. Das würde ich mir wünschen.«  \