Wisam Zureik zog vor 14 Jahren nach Aachen, um Informatik zu studieren. Heute wird er als Filmemacher gefeiert. Wie es dazu kam und was er sonst so macht, erzählt er uns bei einem Besuch im Apollo.
TEXT SIMON WIRTZ
FOTOS UPMACHER
Informatiker ist in der arabischen Gesellschaft ein sehr anerkannter Beruf«, sagt Wisam und lehnt sich zurück in den Kinositz. Deshalb hat er begonnen, Informatik zu studieren, an der Aachener RWTH. Das war vor 14 Jahren. Heute, mit 33, ist Wisam immer noch Aachener, und auch noch immer in den Gebäuden der RWTH unterwegs. Aber als Filmemacher.
Doch fangen wir von vorne an. Wisams Geschichte beginnt in einem kleinen palästinensischen Dorf in Israel – mit Volleyball. Der Sport war die große Leidenschaft seiner Familie, sein Vater leitete den Volleyball-Verein des Dorfes und trainierte auch Wisam. »Dank meines Vaters schaffte ich es bis ins Trainingscamp der israelischen Nationalmannschaft«, erinnert er sich. Doch eine Profikarriere sollte es dann doch nicht sein. »Dafür bin ich viel zu klein«. Zum Glück, wie sich später herausstellen sollte.
Hiwi
Wisams Vater war schon öfter in Deutschland und berichtete zuhause von den guten Unis und Studienbedingungen. »Die Ordnung, die Möglichkeiten! Das hörte sich gut an. Ob ich dafür gemacht war? Ich dachte einfach, ich probier’s mal aus«. Gesagt – getan. Also ging es nach Deutschland. Ziel: Informatiker werden. »Natürlich musste ich erstmal Deutsch lernen. Also machte ich Sprachkurse, lernte Kultur und Leute kennen«. Als Wisam Deutsch konnte, schrieb er sich in Aachen für Informatik ein. »Eigentlich nicht für mich, sondern weil es in Israel ein toller Beruf ist, so wie Arzt oder Anwalt«, weiß er heute rückblickend. Informatik war für ihn tatsächlich nicht die beste Wahl, wie sich bald herausstellen sollte. »Am Anfang ging noch alles gut, aber nach und nach verlor ich das Interesse. Alles andere war interessanter«. Zum Beispiel sein Job als Hiwi bei der Pressestelle der RWTH, wo er kleine Filme produzierte und erste Erfahrungen mit der Kamera machen konnte.
»Ich schmeiße«
Aber wie sollte es weitergehen? »Ich zerbrach mir echt den Kopf, was ich machen sollte«, sagt Wisam nachdenklich. Die Entscheidung fiel dann auf einer Radtour zum Rursee. »Ich dachte über alles nach, über das Studium, über mein Dorf, über das Filmen. Ich wusste: Das war’s mit dem Studium. Ich schmeiße. Ich möchte filmen«. Eine mutige Entscheidung. Was sollte er nur seinen Eltern sagen, die ihren Sohn nach Deutschland geschickt hatten, um Informatiker zu werden? »Klar war das für sie ein Schock. Aber ich wollte mein Ding machen, und das war nicht einfach. Überhaupt nicht. Mein Konto war damals in den Miesen, ich hatte keinen festen Job«.
Harte Zeiten für Wisam. Aber an Aufgeben war nicht zu denken. Er blieb Aachen treu, pendelte ein paar Jahre nach Köln, um dort Mediendesign zu studieren. Und das klappte. Aber sowas von. Seine Abschlussarbeit in Köln war gleichzeitig sein erster größerer Dokumentarfilm. Thema: Identität.
Neuanfang
»Ich bin in einem palästinensischen Dorf aufgewachsen, das in Israel liegt. In ›Woher kommst du?‹ stelle ich mir die Frage, wer ich eigentlich bin und woher ich komme. Bin ich Israeli? Bin ich Palästinenser? Bin ich halb das eine, halb das andere?« Für den Film reiste Wisam in seine alte Heimat und sprach mit Menschen über ihre Identität. »Die Antwort finden, die am meisten zu mir passt. Das wollte ich erreichen«. So leicht kam er dann aber doch nicht ans Ziel: »Das war echt skurril. Der Kameramann ist ausgefallen, direkt am ersten Drehtag. Also habe ich einen Hochzeitsfotografen gefragt, ob er einspringen möchte«. Dem Zuschauer kann das egal sein, denn er merkt (fast) nichts davon. Im Gegenteil: Der Film war sogar so gut, dass er für den Kölner Design Preis nominiert wurde und auf einer Tournee in über 40 Städten gezeigt wurde. Es folgten noch weitere Filme, aber eine Sache haben alle Dokus von Wisam gemeinsam: Tiefgang.
Immer geht es um Fragen, die man nicht in ein paar Sätzen beantworten kann. Wie zum Beispiel im Kurzfilm »Bunte Blumen«, der für den Deutschen Menschenrechtspreis nominiert ist: »Ich habe in einer Einrichtung bei Paderborn einen Flüchtling aus Syrien kennengelernt, der seine Familie vermisste. Seine Geschichte war echt bedrückend. Darüber wollte ich unbedingt einen Film machen. Bunte Blumen waren sein Symbol der Hoffnung, und es war echt interessant, sich damit zu beschäftigen«, erinnert sich Wisam. Auf »Bunte Blumen« folgte dann sein Neuester: »Heimat am Rande«. Wieder Israel und Palästina. Wieder ein Thema mit Tiefgang. »Es geht um die Erfahrungen und das Leben der palästinensischen Minderheit in Israel«. Wisam begleitet drei Palästinenser in ihrem alltäglichen Leben, fühlt mit ihnen. Immer hinter der Kamera. Ein Riesenerfolg: Die Premiere hat »Heimat am Rande« im Aachener Apollo gefeiert, in Saal 1. »Genau hier saß ich. Hier lief mein Film zum ersten Mal«, erzählt Wisam und zeigt auf den Platz neben sich. »Und als der Abspann lief, hatte ich Tränen in den Augen«. Tränen in den Augen hatte er auch vor ein paar Monaten, bei der Geburt seiner Tochter. Doch einfach nur Vater sein ist für den jungen Filmemacher keine Option: »Ich muss Filme machen, das ist meine Leidenschaft. Geschichten erzählen, die sonst niemand erfahren würde. Die Wahrheit zeigen, das treibt mich an«. \