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Ein Bier mit … Hambacher Forst-Befürwortern: Gekommen, um zu bleiben

Morschenich, ein Dorf am Rande des Braunkohletagebaus Hambach, beherbergt seit November das »Hambi Camp 2.0« – und zwar im Garten von Helga Funken (88). In ihrem Wohnzimmer erzählt sie uns – zusammen mit ihrem Sohn Wulf Aurich (66), Aktivistin Lena Hey (22) und »Waldbewohnerin« Kichwa – von einem Ort, dessen Zukunft noch in den Sternen steht. Und: Dass es beim Kampf um den Hambacher Wald um so viel mehr geht, als nur um Klimagerechtigkeit.

TEXT ANJA NOLTE
FOTOS LUTZ ADORF UND VERENA BODENSTEIN

Helga, seit Anfang November stehen etwa 20 Zelte und vier Wohnwagen in deinem Garten …
Helga: (lacht) Hier ist richtig was los. Viele junge Leute, und so langsam merke ich mir die Gesichter. Ein paar kommen immer mal wieder zum Kaffeetrinken vorbei. Es fühlt sich richtig an.

Hier am Wohnzimmertisch wurde der Pachtvertrag unterzeichnet. Was hat dich überzeugt, deine Wiese zur Verfügung zu stellen?
Helga: Die jungen Menschen hier, die haben das mit dem Klimawandel verstanden, die wollen was tun. Dass sie sich persönlich dafür einsetzen und demonstrieren, das begeistert mich. Bei der Großdemo im Oktober sind 50.000 Leute hier vorbeigezogen, ganz friedlich und sie hatten Spaß! Ich stand stundenlang am Küchenfenster.

Ende Oktober war Schluss mit dem »Hambi Camp« im benachbarten Manheim …
Helga: Drei Tage vor dem Ende ist mein Sohn Wulf mit dem Fahrrad hingefahren und hat sich das mal angeschaut, dann wurde das plötzlich ganz akut, es musste ja eine neue Bleibe her. Wulf kam dann die Idee, dass mein Garten ideal wäre, er war ganz verwildert, ich kann mich ja nicht mehr darum kümmern. Warum auch – wir hatten damit gerechnet, vielleicht noch ein halbes Jahr in Morschenich bleiben zu können, länger nicht. Danach wäre ich wohl in ein Heim gegangen, dabei ist es mein größter Wunsch, hier in meinem Haus zu sterben.

Wulf, du bist vor 25 -Jahren von Köln nach -Morschenich gezogen, deine Mutter ist zehn Jahre später nachgekommen. Hat der Ort eine Zukunft?
Wulf: Der Hambacher Forst war der Hauptgrund, warum meine Frau und ich hierher gezogen sind. Vom Zentrum einer Großstadt – ich habe in Köln studiert und dann jahrelang als Freelancer fürs Theater, für den WDR und als Kameramann gearbeitet – in ein kleines Dorf. Wir wollten in die Natur, wieder Luft bekommen. Aber seit Jahren befinden wir uns hier in einem Umsiedlungsprozess, viele haben Morschenich schon verlassen, RWE kauft die Häuser auf. Man will hier vollendete Tatsachen schaffen, die Gegend säubern, auch die Aktivisten sollen verschwinden. Dem sind wir jetzt entgegengetreten, indem wir den Garten zur Verfügung stellen. Es steht immer noch völlig in den Sternen, was aus Morschenich wird.

Lena, du hast im Sommer deinen Bachelor in »BWL – Wirtschaft neu denken« an der Alanus Hochschule Alfter bei Bonn gemacht. Was führt dich hierher?
Lena: Ursprünglich wollte ich nur an einem Waldspaziergang teilnehmen. In der ersten Nacht habe ich dann eine Schicht im Info-Zelt übernommen, da wusste ich noch gar nicht wie so ein autonomes-anarchistisches Camp funktioniert. Wir bekamen eine SMS: Die Band »Moop Mama« kommt in den Wald und spielt ein Konzert, um ein Zeichen zu setzen – ein Tag vor der Lorien-Räumung im September! Die Harvester standen schon bereit, der Platz der Gier war schon geräumt. Die Szenerie war der Wahnsinn. 300 Leute, die ganze Sitzblockade ist aufgesprungen und hat mitgemacht. Ein Tag danach bin ich nach Hause gefahren, habe das Kapuzen-Lied von Moop Mama gehört und bitterlich geweint. Ich habe dann Pläne geschmiedet, wie ich wieder zurückkommen kann …

Drei Tage später wolltest du eigentlich einen Arbeitsvertrag bei der Post unterschreiben.
Lena: Genau. Über eine Vollzeit-Aktivistin habe ich dann eine Möglichkeit gefunden, einen Monat lang bei einer Organisation zu arbeiten, um ein wenig Geld anzusparen. Seit Anfang November lebe ich hier im Camp – und ich lebe tatsächlich von dem, was die Gesellschaft verschwendet. Ich habe für mich festgestellt, dass ich mich hier wohlfühle, dass ich hier Fuß fassen möchte – das bestätigt mich darin, weiter Widerstand zu leisten und zu bleiben. Ich möchte hier Zukunftspläne schmieden.

Kichwa, du kennst den Wald seit etwa zweieinhalb Jahren. Wie machst du nach dem vorläufigen Rodungsstopp weiter?
Kichwa: Ich bin hierher gekommen, weil es in meinem Leben viel Gewalt gab, vor allem sexuelle Gewalt. Ein Freund hat mich in den Wald gebracht, als eine Art »Safe Place«, als sicherer Hafen in einer Parallelgesellschaft, die ohne Diskriminierung funktioniert, ohne Rassismus, ohne Sexismus. Jedem wird hier alles beigebracht und kann sich dann entscheiden: Möchte ich lieber bauen oder kochen? Ich war für ein Jahr in Ecuador und bin vor zweieinhalb Monaten zurückgekommen, mitten in der Räumungsphase. Freunde haben den Wald verlassen, das war traumatisch. Ich habe mir dann gesagt, ich möchte das hier wieder aufbauen für jemanden, der vielleicht auch irgendwann mal einen sicheren Hafen braucht. Ich bin hier für eine Gesellschaftsform, in der ich leben möchte und die ich mir für jeden wünschen würde.

Es geht also um den Erhalt des in Frage stehenden 200 Hektar großen Waldstücks. Gleichzeitig ist »Hambi« zu einem Symbol geworden …
Kichwa: »Hambi« ist ein Sinnbild für alle gefällten Bäume und für die Vertreibung von Menschen, was global ja auf einer viel höheren Skala passiert. Wir wollen Aufmerksamkeit schaffen und zeigen, dass wir alle aufstehen und etwas dagegen tun können. Aber in erster Linie ist der Wald mein Zuhause: Ich kämpfe auch für den kleinen Kauz, der neben mir wohnt und nachts ruft. \