Chris Kukulis, in Aachen bekannt als Chris Brid, ist Musiker, DJ und Produzent. Aber vor allem ist er ein echt netter Kerl, der nicht nur auf Partys auflegt, gerne lacht und Platten sammelt. Er mag zudem Kunst, engagiert sich für Flüchtlinge und ist definitiv ein äußerst positiv eingestellter Mensch. Außer wenn es in seinen Augen um schlechte Musik geht.
VON KIRA WIRTZ
Neun Uhr. Wäre es neun Uhr abends, wäre es irgendwie nicht so eine eigenartige Zeit, sich mit einem Musiker und DJ zu treffen. Aber Chris scheint wenig irritiert von der Uhrzeit, wirkt ziemlich wach und gut gelaunt. Und das wird nicht das einzig Verwunderliche bleiben. Eigentlich wollte er ja gar kein DJ werden. Ihn hat Musik einfach nur interessiert. Wobei interessiert definitiv untertrieben ist. Die Musik ist ein essentieller Teil seines Lebens. Die Mutter Cellistin, der Vater Veranstalter von Musik- und Kunst-Events und PR-ler. Er selbst spielt schon als kleiner Junge Klavier, mit neun Jahren entdeckt er das Scratchen, mit 13 stand fest: Er mag es elektronisch. Und haptisch.
»Die Initialzündung kam als wir noch in Lettland lebten, 1988. Mein Vater veranstaltet ein Undergroundkonzert in Riga. Das war natürlich streng verboten. Ich war neun Jahre alt und meine Eltern hatten mich einfach mitgenommen. Gast war der westliche DJ Westbam, der gescratcht hat. Und da wusste ich: Das will ich auch.«
Musik statt Schule
Kurze Zeit später verlässt die Familie Lettland und zieht nach Münster. Dort hört er viel Musik und macht sie vor allem selber. Das gefällt ihm wesentlich besser als die Schule. »So ein paar Disziplinarverfahren hatte ich schon am Hals. Und die Schule habe ich auch ein paar Mal gewechselt,« erzählt Chris. Und dabei wirkt er nicht schuldbewusst, sondern eher belustigt über sein früheres Ich. »Ich kam aus Lettland, wir waren Flüchtlinge, die Asyl beantragt hatten. Und ich hing nach der Schule lieber mit den Sprayern und Hip Hoppern ab und interessierte mich eben eher für Musik als den Schulkram.« Für ein Einser-Abi hat es dennoch gereicht, erklärt er beiläufig.
Neben dem Schulkram hat er allerdings eine Sache gelernt, die wesentlich wichtiger ist und auf die seine Eltern immer Wert gelegt haben: »Mach, worauf du Bock hast« und »Wenn du es wirklich willst, kannst du alles schaffen.« Das hat ihn bestärkt, seinen musikalischen Weg weiter zu gehen und der führte ihn 1999 nach Aachen. Auch da hatte er noch keinerlei Ambitionen, als DJ irgendwo aufzulegen. Aber seine Freunde, die ihn in seiner Wohnung besuchten, bewunderten seine enorme Plattensammlung. Immer wieder hieß es: »Spiel mal was.« Und die Antwort war immer wieder: »Ne, ihr mögt doch eh nur 80er und 90er!« Chris kann heute über seine eigene Ignoranz laut lachen. »Ich dachte wirklich, dass die Leute aus Aachen einfach nicht auf elektronische Musik stehen. Das hat sich zwar geändert, aber in der Regel verwechseln selbst die, die gerne Electro hören, die unterschiedlichen Stile.« Das bedeutet keinesfalls, dass er Menschen, die seinen Musikgeschmack nicht teilen, verachtet. Er muss es nur nicht gutheißen. Genau wie er kein Radio hören oder die Bildzeitung lesen muss. Zitat: »Kommerz-Mucke ist wie die Bildzeitung: nicht anstrengend und programmiert, dass es für jeden funktioniert!«
»Der erste Auftritt war die Hölle, ehrlich! Der Typ sagte zu mir: ›Geh doch nach Hause onanieren‹«
Aber zurück ins Jahr 2000: Irgendwann konnte er nicht mehr nein sagen, da sich eine befreundete WG zum Geburtstag wünschte, er solle bei ihnen auflegen. Und siehe da, der kleine ausgewählte Partykreis fand ihn als DJ super. Und dann passierte, was passieren musste: »Ich ließ mich zu einem ersten öffentlichen Auftritt überreden.« Und der ging mächtig in die Hose. »Der Auftritt war die Hölle, ehrlich! Das war eine Fachschaftsparty von den Germanisten im damaligen Jakobshof. Ich hab von Anfang an gesagt: Seid ihr wirklich sicher, dass ihr meine Musik hören wollt? Und da hieß es: ›Ja sicher, das wird voll geil‹. Nach einer halben Stunde wurde es wirklich furchtbar.« Und ganz ehrlich. Chris übertreibt nicht. Erzählt er jetzt, rund zehn Jahre später die Geschichte, wird er immer noch ganz blass. »Irgend so ein Tutor wurde derartig beleidigend, dass ich meine Sachen eingepackt habe und gegangen bin. Der hat ernsthaft zu mir gesagt: ›Geh doch nach Hause onanieren. Auf die Musik kannst nur du dir alleine einen runter holen.‹« Und da standen die Germanisten. Ohne Anlage, ohne Musik und ohne Chris. Und der war sich ziemlich sicher, dass das das Ende seiner DJ-Karriere war.
Immerhin gab es in Aachen nicht viele Läden, in denen beispielsweise elektronischer Jazz gespielt wurde. Aber es gab den Malteserkeller, den Jakobshof und das Parkside. Und eine Menge Aachener, die ihn auflegen hören wollten. Und der Typ, der als Anfang 20-Jähriger nur in kleinen Club oder für private WGs spielte, steht heute bei Festivals auf der Bühne. Dabei gibt es Chris nicht nur als DJ. Sondern – oder vielleicht besser besonders – auch als Musiker und er setzt sich aktiv für Flüchtlinge in Deutschland ein. Aber auch dafür muss wieder etwas ausgeholt werden.
Aus eigener Erfahrung
Wir erinnern uns: Mit zehn kam Chris nach Deutschland. Das war 1990. Da seine Eltern sehr westlich orientiert und selber wegen ihrer Jobs damals oft in Deutschland unterwegs waren, entschieden sie sich zugunsten der Kinder, nicht in ihre Heimat Riga in Lettland, das zu der Zeit noch zur Sowjetunion gehörte, zurückzukehren. Sein Vater, der zuvor Events in West-Berlin und Kassel organisierte und seine Mutter, die Konzerte in Hamburg und Münster spielte, mussten nun für sich und ihre drei Kinder – eine ältere und eine jüngere Schwester – Asyl beantragen. Das bedeutete für die freiheitsliebende Familie: Arbeitsverbot, sprich Auftrittsverbot, wenig Geld, keine Reisen mehr, jede Menge Bürokratie und eine Ortsgebundenheit an Münster. Erst 2015 bekam Chris seinen deutschen Pass. Eine verdammt lange Zeit.
»Wenn sich irgendwer mit dem Asylrecht auskennt, dann bin ich das«, erzählt Chris quasi in einem Nebensatz. Bitte? Mit seinen Worten klingt es logisch: »Ich weiß, wie es ist, wenn man ein Flüchtling ist. Und ich weiß, was man darf und was nicht. Und das ist viel mehr als die meisten wissen. Und da finde ich es eigentlich selbstverständlich, mit meinem Wissen zu helfen.« Deshalb trifft er sich in seiner Freizeit mit minderjährigen Flüchtlingen, hilft bei Amtsgängen und macht verschiedene musikalische Projekte mit ihnen. »DJ-Kurse zum Beispiel. Da ist es auch egal, wenn nicht alle die gleiche Sprache sprechen.« Er selber konnte nach einem Jahr fließend Deutsch. Heute ist die lettische Sprache eher ein Problem für ihn. »Ich schaff es kaum noch das R so zu rollen, wie man es auf Lettisch macht«, klagt er und irgendwie klingt das R für deutsche Verhältnisse trotzdem etwas grollender als gewöhnlich. »Ja, findest du? Das hättest du früher mal hören sollen.«
»Wir waren an einem Punkt, an dem wir wussten: ›Geil, das ist es, lass uns das einfach durchziehen!‹«
Prio eins
Früh, mit Anfang 20, an Chris ersten Wochenende in Aachen, hat er übrigens seinen besten Freund Christian kennen gelernt. Und standen noch auf Hip Hop. Seit 15 Jahren machen sie zusammen elektronische Musik. Gemeinsam sind sie Brid & Snyder »Wir haben alles Mögliche probiert. Mal engagierten wir eine Sängerin, dann probierten wir es mit Percussions.« 2016 stand dann aber fest, ihre elektronischen Beats mit Jazz- und Soul-Einflüssen klingen am besten, wenn sie es zu zweit machen. »Wir waren einfach an einem Punkt, an dem wir wussten: ›Geil, das ist es, lass uns das einfach durchziehen!‹« Und das hat definitiv geklappt. Innerhalb von einem Jahr releasten unterschiedliche Labels ihre Tracks. Im Dezember erscheinen sie sogar bei Traum Schallplatten – übrigens Chris persönliches Lieblingslabel.
»›Brid & Snyder‹ ist was Eigenes. Das macht einfach 1.000 mal mehr Bock!« Den Sommer über sind sie zum Beispiel noch beim Kimiko und Niemandsland zu sehen, dann geht es für die beiden weiter nach Düsseldorf, Köln oder Berlin. Aber keine Sorge, Aachen kehrt er nicht den Rücken zu. »Ich mag die Stadt einfach. Auch wenn es hier manchmal ein bisschen langweilig ist. Aber dann setze ich mich ins Auto oder in die Bahn und fahr eben woanders hin.«
So leicht kann das also sein. In Chris Leben hat scheinbar alles irgendwie immer zur richtigen Zeit funktioniert. Vielleicht auch, weil er das Leben so gelassen angeht und wirklich immer hinter seinen Entscheidungen steht. Natürlich spielte auch das Geld immer wieder eine Rolle. Aber auch da hat er einen Weg gewählt, der für ihn besser passte, auch wenn es nicht der leichtere war. »Ich war natürlich auch mal kommerziell gebucht, aber wie ich feststellen musste: Ich kann es einfach nicht. Ich verstehe jeden, der das macht. Aber für mich ist Musik viel zu persönlich. Ich würde für ’ne Mille ja auch meine Kinder nicht verkaufen.« Also ist er bevor es mit der Musik so richtig gut lief, lieber kellnern gegangen. Und zwar im Kittel und im Last Exit. Da lief übrigens kein Radio. Chris hat die Musik selber mitgebracht. Ein Mixtape für die Arbeit sozusagen. \
Fotos: David Hagemann, L. BASS PHOTOGRAPHY