Pia Breuer ist Spielerin der ersten Frauenmannschaft von Alemannia Aachen. Ein Verein, der in den letzten Jahren vor allem durch Abstiege und einen hohen Schuldenberg von sich reden machte. Doch das gilt für die Herrenabteilung. Ob es in der Damenabteilung anders läuft, wie sie ihr Hobby Fußball sieht und wie es um den Frauenfußball in Aachen gestellt ist, hat uns Pia erzählt.
VON CHRISTINA RINKENS
FOTOS Joe Gras/JOE MEDIAWORK (großes Aufmacherfoto), Manfred Heyne
Ein Sportplatz im Aachener Süden. Sonntag, 13 Uhr. Auf dem Kunstrasenplatz beginnt gerade das erste Fußballspiel des Tages. Die zweite Damenmannschaft von Alemannia Aachen spielt gegen Hertha Rheidt. Vereinzelt haben sich ein paar Fans eingefunden. Auch Pia ist erstmal nur als Fan hier. Ihre Zwillingsschwester Mara spielt in der zweiten Frauenmannschaft. »Mädels, schneller nach vorne«, brüllt vom Seitenstreifen ein Mann. Trainer oder Fan? »Nur ein Fan«, schmunzelt Pia. »Der kommt zu jedem unserer Spiele vorbei.« Sie nimmt Platz auf einem weißen Plastikstuhl vor dem Vereinshaus des Sportplatzes. Mit guter Sicht aufs Spielfeld, immer mit einem Auge beim Spiel.
»Meine Zwillingsschwester Mara und ich waren schon immer fußballinteressiert«, erzählt sie. Gespielt wurde erst einmal nur mit ihren Schwestern und den Nachbarjungs. Aber mit bester Ausstattung: »Unsere Oma hat uns immer Fußballschuhe und Trikots geschenkt.« Erst als im heimischen Dürwiß, ein Stadtteil von Eschweiler, der örtliche Sportverein »Germania Dürwiß« eine Mädchenmannschaft gründete, war klar, dass die beiden vom Garten auf den Platz wechseln.
»Ich bin nie der Typ fürs Tanzen gewesen, ich hatte immer schon lieber einen Ball am Fuß.«
Das war 2006, da waren Mara und Pia acht Jahre alt. Inzwischen, zehn Jahre später, spielt Pia in der ersten Frauenmannschaft von Alemannia Aachen. Mara in der zweiten. Ist sie denn schlechter als Pia? »Nein, das kann ich so nicht sagen, allerdings ist die Entscheidung in der ersten Mannschaft zu spielen, im Frauenfußball auch immer eine Frage der Zeit«, lacht Pia.
Null Theatralik
Bis zur jetzigen Saison haben die beiden immer gemeinsam in einer Mannschaft gespielt. Auch als ein damaliger Trainer der Alemannia sie bei einem Turnier abwarb. »Eigentlich hat er unserer Mutter direkt den Anmeldebogen in die Hände gedrückt.« 2011 wechselten beide von den Juniorinnen in die zweite Frauenmannschaft. Bereits früh kam für Mara und Pia das Angebot, in die erste Frauenmannschaft zu wechseln. Doch sie wollten sich erst einmal auf das Abitur konzentrieren. Und für Mara war auch jetzt der Wechsel in die erste Mannschaft mit zu viel Aufwand verbunden, für Pia kam er zur rechten Zeit.
Plötzlich hebt Pia den Kopf, unten auf dem Spielfeld schießt die Alemannia gerade das erste Tor. Der Torjubel fällt verhalten aus, sowohl bei den Spielerinnen, als auch bei den wenigen anwesenden Zuschauern. Das ist nicht der minderen Qualität des Spiels zu schulden, sondern weil die Spielerinnen auf Theatralik bem Torerfolg verzichten.
»Ich glaube, dass der Mannschaftssport mir viel mitgegeben hat. Man entwickelt ein starkes Zusammenhaltsgefühl.«
Die Frauenabteilung von Alemannia Aachen besteht seit 2009. Eigentlich gibt es sogar drei Frauenmannschaften, zusätzlich die Juniorinnen ab der U15. Doch die dritte Frauenmannschaft, Alemannia III, wurde erst kürzlich aus dem aktuellen Spielbetrieb zurückgezogen. Derzeit ist es aufgrund der Verletzungslage und einzelner Spielerwechsel nicht möglich, zuverlässig eine spielfähige Mannschaft zu stellen, heißt es auf der Homepage der Frauenabteilung. »Uns als Traditionsverein fällt dieser Schritt nicht leicht«. Doch bereits ab der kommenden Saison sollen wieder drei Mannschaften auflaufen.
Pias Mannschaft, Alemannia Aachen I, spielt derzeit in der Regionalliga West. Noch in der letzten Saison, als Pia noch nicht in die erste Mannschaft gewechselt war, in der 2. Bundesliga Süd. Das Ligasystem der Frauen unterscheidet sich von dem der Herren. Während es bei den Herren nach den zwei Bundesligen noch die 3. Liga gibt, bevor die Regionalligen beginnen, entfällt diese Stufe bei den Frauen. Die Herrenmannschaft der Alemannen spielt derzeit ebenfalls in der Regionalliga. Dort sind die Herren bereits Profis. In Pias Mannschaft wird keine der Spielerinnen in irgendeiner Weise bezahlt.
»Wir haben dreimal in der Woche Training«, erzählt Pia, während sie ihrer Schwester bei einem Freistoß zuschaut. Jeden Montag, Mittwoch, Freitag. Jeweils von 19 bis etwa 21 Uhr. »Manchmal aber auch bis zehn oder elf Uhr, wenn der Trainer überzieht«, weiß Pia. »Aber es wird eben auch eine gewisse Leistung gefordert und dafür muss man auch mal länger trainieren.« Pokalspiele finden samstags statt, Meisterschaftsspiele – so wie heute – sonntags. Wenn die Spiele zum Beispiel in Warendorf bei Münster stattfinden, geht’s morgens hin und abends zurück. Pia macht das nichts aus. Ihre Eltern sind bei jedem Spiel dabei. »Jeden Sonntag machen wir also einen Familienausflug.«
In der letzten Saison, als Alemannia Aachen I noch in der 2. Bundesliga Süd spielte, fanden die Spiele gegen die zweite Mannschaft von Bayern München eben auch in München statt. Da reicht ein Sonntag für Hin- und Rückreise sowie Spiel nicht. Also muss übernachtet werden. Neben einer kleinen finanziellen Unterstützung des DFB zahlen die Spielerinnen das aus der eigenen Tasche. Für die Abteilung allgemein war es also schade, abzusteigen, da jede Mannschaft den Willen hat, so hoch wie möglich zu spielen. Doch vereinzelt gibt es Stimmen in der Mannschaft, die Regionalliga sei aus diesen Gründen entspannter. Das weiß auch Pia. Für sie und die anderen steht dennoch fest, auch in dieser Saison um den Aufstieg zu kämpfen. »Der Aufstieg ist das klare Ziel.«
Trainiert werde nicht hier, im Aachener Süden, sondern in Düren. Genauer gesagt in Morschenich, ein Ortsteil der Gemeinde Merzenich im Kreis Düren. Eine halbe Stunde Autofahrt von Aachen entfernt. »Für mich ist das nicht so schlimm«, erzählt Pia. Sie wohnt noch bei ihren Eltern in Eschweiler. Von da sind es knapp 20 Minuten. Ein einziges Mal haben die Frauen in den letzten paar Jahren auf dem Tivoli gespielt. Aber da war Pia noch Juniorin. »Wir dürfen manchmal auf dem Parkdeck trainieren«, erzählt sie lachend. Zum Glück ist hier kein normaler Parktplatz gemeint, sondern der Trainingsplatz der Alemannia Aachen. Wenn Auswärtsspiele anstehen und die Spielerinnen sich an den Kunstrasen unter den Füßen gewöhnen sollen.
Unten auf dem Spielfeld beginnt gerade die Halbzeitpause. Es steht immer noch 1:0 für die Alemannia. Die Spieler der Männermannschaft hat Pia noch nie getroffen. »Die Herren- und die Frauenabteilungen sind bei Alemannia Aachen komplett für sich stehende Abteilungen«, erzählt sie. Berührungspunkte gibt es keine. Die einen spielen auf einem kleinen Sportplatz, die anderen im großen Tivoli. Die einen trainieren in Morschenich, die anderen in Aachen auf dem Trainingsplatz am Tivoli. Ein allgemeines Problem? »Klar ist es schade, dass Frauenfußball nicht gleichermaßen akzeptiert wird«, sagt Pia. »Aber irgendwie kann ich das auch verstehen. Im Fernsehen schaue ich auch lieber Männerfußball, man sieht schon einen sehr deutlichen Unterschied.«
Utopie Vollprofi
Für Pia und ihre Mitspielerinnen ist Fußball ein Hobby. Als Frau Vollprofi im Fußball zu werden, ist fast unmöglich. Erst ab der 1. Bundesliga verdienen die Spielerinnen. Gemeinhin ist der Frauenfußball längst nicht so weit, dass Spielerinnen eine zweite berufliche Karriere vernachlässigen könnten. »Um Profi zu werden, hätte ich schon sehr früh für die Nationalmannschaft spielen müssen. Ich habe mal als Juniorin in der Auswahl gespielt, bin aber nicht dran geblieben«, sagt Pia.
Steffi Jones, ehemals Spielerin der Nationalmannschaft und inzwischen Trainerin von eben dieser, sagte kürzlich bezüglich der Wahrnehmung von Fußballspielerinnen: »Ich finde, wir sollten froh darüber sein, wie es ist. Und uns nicht immer mit den Männern vergleichen.« Tatsächlich ist Frauenfußball eine der am schnellsten wachsenden Sportarten. Besonders in den letzten Jahren haben die Erfolge der Frauen-Nationalmannschaft erheblich dazu beigetragen. Dass der Frauenfußball trotzdem noch nicht dieselbe Akzeptanz erfährt wie der Herrenfußball, ist kein rein deutsches Problem. Gegen finanzielle Benachteiligungen und Diskriminierungen wehren sich auch Spielerinnen anderer Nationen. Und allgemeinhin Sportlerinnen der verschiedensten Disziplinen.
»Fan von einer bestimmten Frauenmannschaft bin ich nicht. Ich mag die Herrenmannschaft von Borussia Dortmund, mir gefallen die Spielweise und die einzelnen Spieler.«
»Man muss sehen, welche wirtschaftlichen Dimensionen der Fußball bei den Männern erreicht hat. Das ist bei den Frauen noch nicht der Fall. Die Frage ist, ob das überhaupt erstrebenswert ist.« Dieses Zitat stammt von Theo Zwanziger, Präsident des Deutschen Fußballbundes. Spiele der Frauenmannschaften ziehen sehr viel weniger Zuschauer an. Weniger Medien berichten. Weniger Zuschauer, weniger Medieninteresse entspricht weniger Sponsoren. Nur sehr erfolgreiche Vereine können sich starke Frauenmannschaften leisten. Bayern München, 1. FFC Frankfurt, VfL Wolfsburg. Eben nicht Alemannia Aachen.
»Es macht keinen Sinn, Vergleiche zu den Männern zu ziehen«, sagt auch Pia. »Ich hatte immer gerne einen Ball am Fuß und meine Eltern haben uns bei der Wahl unseres Hobbys sehr unterstützt. Für mich ist Fußball ein Hobby und kein anderes kam in Frage.« Mit Vorurteilen habe sie nie zu kämpfen gehabt. Im Gegenteil: In der Schule ist sie immer gerne von den Jungs in die Mannschaft gewählt worden, wenn Fußball gespielt wurde. Nach ihrem Abitur in diesem Jahr hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester ein Freiwilliges Soziales Jahr an einer Förderschule in Stolberg begonnen. Beide sind so begeistert, dass sie Sozialpädagogik oder Soziale Arbeit studieren wollen. »Ich glaube, dass der Mannschaftssport mir viel mitgegeben hat. Man entwickelt ein starkes Zusammenhaltsgefühl.« Am liebsten wollen Mara und Pia in Aachen oder Köln studieren. »Ich will ja auch nicht den Aufstieg verpassen«, schmunzelt sie. Jetzt ruft der Trainer erstmal zum Aufwärmprogramm für das um 15 Uhr anstehende Spiel. Alemannia Aachen II verliert derweil 1:3 gegen Hertha Rheidt. \
Fotos: Joe Gras/JOE MEDIAWORK (großes Aufmacherfoto), Manfred Heyne