Der Filmemacher Shawn Bu spielte schon als Jugendlicher Star Wars-Szenen nach und filmte sie. Sein dieses Jahr fertig gestellter Fan-Film »Darth Maul: Apprentice« hat selbst die Studiobosse in Hollywood aufhorchen lassen.
VON SEBASTIAN DREHER
Man stelle sich vor: Zwei Kids in ihrem Kinderzimmer, vor ihnen ein Haufen Spielsachen und eine Kamera. »Die Kamera war von unserem Vater, eine Sony.« Shawn Bu, Kinnbart, Cap und dicke Hornbrille, muss bei der Erinnerung an die Anfänge seiner Karriere ein bisschen schmunzeln. »Damals hatte ich noch kein Schnittprogramm. Ich habe von Szene zu Szene einfach die Kamera angehalten, die Kulissen verstellt und dann weitergefilmt.« Nach diesem Daumenkino-Prinzip basteln sich die beiden Brüder Shawn und Julien – Youtuber Julien Bam übrigens – eigene kurze Filme zurecht. Später drehen sie Szenen aus ihrem Lieblingsfilm »Star Wars« nach, etwa die Kneipenszene aus dem ersten Teil mit Luke und Obiwan und all den seltsamen Aliens. Aber auch Waschmittelwerbung oder, was ihnen sonst so in den Sinn kommt. Mit jedem Clip erweitern Shawn und Julien ihr Wissen, lernen mehr Tricks und Kniffe, werden besser.
Als ihre Schule eine Talentshow veranstaltet, sind sie direkt Feuer und Flamme. Sie dürfen für ihre Dreharbeiten die Turnhalle der Aachener Viktoria-Schule in Beschlag nehmen. Mit weiteren Freunden und allerlei Hilfsmitteln, wie Rollbrettern, choreografieren und drehen sie einen Lichtschwertkampf. Die Nachbearbeitung macht Shawn mit der professionellen Animationssoftware After Effects. Dazu schaut er sich im Vorfeld Dutzende Online-Tutorials an und bringt sich so Techniken bei, die auch große Hollywoodstudios verwenden. Bei After Effects muss jedes einzelne Bild bearbeitet werden, pro Filmminute sind das 1.500 Bilder – ein unfassbarer Aufwand. Und so kommt es, wie es kommen musste – der Film wird nicht fertig und die Brüder verpassen die Talentshow. »Das war blöd, aber wir haben den Clip, als er endlich fertig war, trotzdem in der Schule gezeigt«, erinnert sich Shawn. »Er kam sehr gut an.« Für Shawn ist das Filmemachen zu dieser Zeit längst zum Inhalt seines Lebens geworden. Wenn er ohne Projekt ist, wird er griesgrämig und antriebslos. »Kurz vor dem Abi hatte ich eine schlechte Phase, hatte keine Motivation mehr«, sagt er. Doch dann kommt ihm die Idee, einen Abifilm zu drehen. Und er wäre kein echter Filmemacher, wenn er nicht sofort eine Story im Kopf hätte. »Eine wilde Jagd mit vielen Filmzitaten – und am Ende wird die Schule vor der Zerstörung bewahrt«, beschreibt er mit leuchtenden Augen.
Ein Alleskönner
Noch während der Schulzeit lernt er Vi-Dan Tran kennen, heute selbst Regisseur, Produzent und Actiondesigner, darüber hinaus Stuntman, Kampfsportler und Akrobat. Vi-Dan ist Spezialist für Martial Arts, hat unter anderem in Hollywood-Blockbustern wie »Cloud Atlas«, »Skyfall« und einigen Jackie Chan-Filmen mitgewirkt. Shawn und Vi-Dan drehen einen Eastern namens »Vengeance of the Eagle’s Fist«, in dem sich zwei Erzfeinde wiedertreffen und kämpfen, sich bald darauf aber gegen eine andere böse Macht verbünden – die Handlung spielt in einer archaisch-asiatischen Welt. »Leider haben wir den Film nie fertiggestellt«, sagt Shawn.
Nach Abi und Zivildienst bewirbt sich Shawn an der Fachhochschule Aachen für Kommunikationsdesign, einem Studiengang, der viel breiter gefächert ist als ein Filmstudium. Denn Shawn will nicht nur Kamera studieren, Drehbuch oder Schnitt – er will alles können. Bei der FH wird er 2007 angenommen. Als Bewerbung hat er den Schwertkampf-Film aus Schulzeiten eingeschickt – und damit überzeugt. Im Studium saugt er das Wissen in sich auf wie ein Schwamm, stellt Projekte auf die Beine und wirkt bei den Projekten anderer mit. »Ich hab zu allem ›Ja‹ gesagt«, erinnert er sich. Immer mehr Kommilitonen wollen seine Hilfe. Und dafür gibt es einen Grund: Alles, was Shawn produziert, hat einen besonderen Look, einen Hollywood-Look. Wie sein Freund Vi-Dan ist Shawn extrem technikinteressiert, schaut immer, was es Neues gibt, alles muss immer »High End« sein.
Seine Inspiration zieht Shawn aus den Filmen seiner Idole – allesamt Hollywood-Regisseure, die vor allem durch ihre bombastischen Produktionen bekannt geworden sind: Ridley Scott, George Lucas, James Cameron, Steven Spielberg. »Filme wie Star Wars, Indiana Jones und Terminator haben mich geprägt.« Dazu muss man sagen, dass Shawn als Kind oft in Singapur war, dem Heimatland seiner Mutter. »Dort kommen die Filme schneller ins Kino und werden auch mehr gehypt als in Deutschland. Und es gibt keine Altersbeschränkung!« Shawn konnte also bereits mit knapp zehn Jahren in Filme wie »Independence Day« oder »Batman Forever« gehen. In Singapur sieht er dann auch erstmalig Ridley Scotts bereits 1979 produzierten Science Fiction-Klassiker »Alien«. »Ich war total geflasht und musste den Film immer und immer wieder sehen – er hat etwas in mir verändert«, erinnert er sich. »Kein Film hat mich seitdem mehr beeindruckt.« Die Requisiten, die Story, die Effekte, die Atmosphäre – kurz: der Look. Für Shawn ist klar: Das und nichts anderes möchte er in seinem Leben machen.
Ausbildungszeiten
Irgendwann während des Studiums kommt ihm das Thema »Star Wars« wieder in den Sinn. Seine Idee ist, eine Nebenfigur aus dem ersten der neuen Verfilmungen zum Protagonisten zu machen: Darth Maul. Sein Film soll die Ausbildungszeit dieses bösen Sith-Lords zeigen. Shawn will dieses neue Projekt unbedingt mit Vi-Dan machen. Knackpunkt ist: Der kann mit »Star Wars« absolut nichts anfangen, sein Steckenpferd sind nun mal Schwertkämpfe. Eines Abends sitzen Shawn, Vi-Dan und ein paar andere bei Shawn zuhause und im Hintergrund läuft »Star Wars« in schwarzweiß und ohne Ton. »Ich beobachte gerne Menschen während des Filmguckens, um deren Reaktionen zu sehen«, erklärt Shawn. »Außerdem schaue ich mir gerne Filme aus verschiedenen Perspektiven an – in schwarzweiß oder ohne Ton eben. Das kann einen auf neue Ideen bringen.« Das Phänomen scheint bei Vi-Dan gewirkt zu haben – nachdem er zufälligerweise eine Lichtschwertkampfszene beobachtet hat, sagt er unvermittelt: »Wir machen den Star Wars-Film!«
Das Projekt kann also endlich starten. Anfangs läuft alles wie geschmiert, viele Kollegen sagen ihre Hilfe zu, wollen bei so einem populären Thema wie »Star Wars« dabei sein. »In einer Woche sind wir fertig«, sagen sich Shawn und Vi-Dan während der Vorbereitungsphase. Wie falsch sie damit liegen, sollte sich erst viele Monate später herausstellen. »Bei unserem ersten Drehblock in der Eifeler Teufelsschlucht haben wir fast nichts geschafft«, erinnert sich Shawn. Das Wetter ist schlecht, es gibt so gut wie keinen Handyempfang und die Logistik gestaltet sich als extrem schwierig. Immerhin müssen rund 30 Leute versorgt und untergebracht werden. Auch wenn alle Beteiligten ohne Honorar arbeiten, geht das komplette Geld für Fahrtkosten, Unterkünfte und Essen drauf.
Für den nächsten Block reduzieren Shawn und Vi-Dan die Crew auf das Nötigste. Trotzdem braucht alles seine Zeit, etwa das professionelle Make-Up. Hauptdarsteller Ben Schamma bereitet sich bis zu viereinhalb Stunden vor, steckt sich Hörner an und malt sich die Zähne braun. Das Ergebnis ist allerdings atemberaubend: Ben ist kaum vom echten Darth Maul zu unterscheiden. Dem Zeitplan kommt zugute, dass alles gut organisiert ist – Shawn ist ein Regisseur, der nicht herumprobieren muss, sondern alle seine Szenen schon im Kopf hat. Eine Einstellung reicht ihm. So kann er die Shots wie an einer Schnur abarbeiten. Trotzdem müssen die Dreharbeiten während der Wintermonate eingestellt werden. In dieser Zeit macht sich Shawn schon mal an die Nachbearbeitung, fügt Effekte ein, bastelt am Look der Lichtschwerter.
Im Frühjahr geht es erst mal zurück in den Wald, um zu Ende zu drehen, was nicht geschafft wurde. Im Oktober 2015 schließlich macht sich das Team an den Dreh des Finales in der Wüste. Natürlich fahren sie dazu nicht wirklich in die Wüste, sondern ins benachbarte Holland in die Brunssumer Heide. Shawn fügt für den fertigen Film noch eine im Hintergrund liegende Raumstation ein und lässt Flugobjekte durch die Luft schwirren. Am Ende liegen alle Jedi-Ritter erschlagen am Boden – Darth Mauls Training ist zu Ende, er ist bereit, für seinen Imperator in die Schlacht zu ziehen. »Yes, my master« sind die einzigen Worte, die ihm über die schwarz-roten Lippen kommen.
Im März 2016 ist es vollbracht: knapp 18 Minuten ist der Clip lang, den Shawn bei Youtube hochlädt. Auch wenn alle ausgepowert und übermüdet sind, so werden sie doch durch das Endergebnis belohnt – und von dem Feedback, das aus allen Ecken der Welt zu ihnen kommt. Bei Youtube wurde der Clip über zehn Millionen Mal angeklickt, die beiden Making-of-Dokumentationen zusammen auch fast 900.000 Mal. Letztere zeigen eindrucksvoll, mit welchem Aufwand und mit was für einer Professionalität Shawn, Vi-Dan und alle anderen gearbeitet haben.
Zukunftsmusik
Der Erfolg des Films – mit dem Shawn übrigens seinen Bachelor-Abschluss an der FH bekam – blieb auch den Talent Scouts der großen Filmagenturen in Hollywood nicht verborgen. »Wir haben schon nach ein paar Tagen die ersten Mails aus den USA bekommen«, sagt Shawn. »Die waren sehr begeistert und wollten sich unbedingt treffen.« Zusammen mit Vi-Dan fliegt er für eineinhalb Wochen nach L.A., jeden Tag stehen Meetings auf dem Programm, bei denen sie einflussreiche Leute aus der Filmbranche kennenlernen. Konkrete Pläne zur Zusammenarbeit gibt es allerdings noch nicht. »Die Studios suchen nach Gesamtprojekten, also nach talentierten Leuten mit Drehbüchern, deren Verfilmung Erfolg verspricht«, erklärt Shawn. »Unsere Story ist ›Star Wars‹ – da lässt sich kein neuer Film draus machen.«
Shawn sieht trotzdem gelassen in die Zukunft, setzt sich nicht unter Druck. Er wird weiter Filme machen, denn das ist sein Leben. »Vielleicht einen Spielfilm fürs Kino in kleinem Rahmen und mit kleinem Budget als Bewährungsprobe.« Und wenn ihm irgendwann die passende Idee für ein Drehbuch kommt, weiß er jetzt, wo er sich melden kann. \
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Shawns Fan-Film unbekannt sein sollte, hier entlang.
Fotos: David Hagemann, Filmstills, Patrick Suite