Der Kommunikationsdesigner David Gerards hat ein Multimedia-Konzept entwickelt, mit dem er das Potenzial der lokalen Kunstszene ausloten will: den Poebel.
VON SEBASTIAN DREHER
Cro oder Sido? Guy Fawkes oder der Graf von Monte Christo? »Hm, dann nehm’ ich Guy Fawkes!« sagt David Gerards und dreht sich erst mal eine Zigarette. Pueblo-Tabak mit Eindrehfilter – es wird nicht die einzige Kippe bleiben während des Interviews. »Der Vergleich passt sogar ziemlich gut. Wie bei Guy Fawkes ist es bei der goldenen Poebel-Maske nämlich auch egal, wer sich dahinter verbirgt – es könnte quasi jeder sein. Jeder, der Kunst macht. Und jeder kann sein Werk vergolden.« Der Begriff Kunst ist für Davids Verständnis übrigens viel zu eng gesteckt und wurde von den falschen Menschen formuliert. Er hat seine eigene Definition: »Kunst ist ein Werk ohne Gebrauchswert, aber mit einem Mehrwert für Dritte.« So einfach kann es sein.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist es möglich, sich auf das von David ins Leben gerufene Media-Konzept, das Kunstmagazin Poebel einzulassen. In dem vierteljährlich erscheinenden Heft sind nämlich ungefiltert die Werke unbekannter, halbbekannter und bekannter Künstler aus dem Aachener Großraum nebeneinander abgebildet, lediglich mit kargen Informationen versehen, Namen und Mailadresse. Die Werke bekommt David von den Künstlern geschickt, meist per Mail, oft zusammen mit langen Bewerbungsschreiben.
»Das ist eigentlich gar nicht nötig, in den Poebel werden alle eingesendeten Werke aufgenommen, unbearbeitet, ohne redaktionellen Text.« David bezeichnet dieses Verfahren bemerkenswerterweise als »posten«, als handele es sich bei dem Printprodukt um eine Social Media-Plattform, als könnten sich die Künstler dort ein Profil anlegen. Und irgendwie kommt das dem Poebel-Prinzip ziemlich nahe …
Doch halt, der Reihe nach. Für die, die den Poebel nicht kennen: Hinter der Maske, dem unverkennbare Markenzeichen des regionalen Kunst-Magazins, steht nicht etwa David selbst. Vielmehr reicht er regionalen Künstlern die goldene Maske. Die goldene Möglichkeit, ihre Kunst zu präsentieren. Anonym und einheitlich. Und doch persönlich und individuell.
Ein »Eschweiler Jung« und die Kunst
Untrennbar verbunden ist der Werdegang des Kunstkonzeptes mit Davids Lebensgeschichte: In Stolberg geboren, wächst David in Eschweiler auf und geht dort auf die städtische Gesamtschule. Kurz vor dem Abitur, in der 13/1, bricht er ab, will sich selbstständig machen, die Idee eines Imagemagazins umsetzen, das ein Freund erdacht hat. Gemeinsam porträtieren die beiden Teenager lokale Einzelhändler und Kneipen, zum Beispiel die 2009 abgebrannte Gaststätte »Uferlos«. David kümmert sich um die Fotos – sein erster Kontakt mit der Fotografie. Schnell merkt er, dass er Talent dafür hat, vor allem für Bildaufbau. »Wenn ich eine Aufnahme machen will, habe ich das fertige Bild sofort vor dem inneren Auge.« David trennt beim Kunstschaffen in Handwerkzeug, das man sich beibringen kann, und Talent, das man hat oder nicht. Das »Auge« hat man – oder eben nicht.
In einer Medienagentur macht er ein Praktikum, um sein Fachabi zu bekommen. Danach bewirbt er sich mit einer Mappe bei der Fachhochschule Aachen. Und nur dort. Wegziehen war nie eine Option, er »sei eben regional verwurzelt«, sagt er. Freunde, Familie, all das will er nah bei sich behalten. Und der Plan geht auf, die FH sagt ihm für Kommunikationsdesign zu, das Studentenleben beginnt.
Auch wenn er sich mittlerweile ziemlich viel selbst beigebracht hat – er ist nach dem Prinzip »Learning by Doing« auch zum Filmemachen gekommen – öffnet ihm das Studium die Augen. David fühlt sich wie ein Kind im Geschenkeladen, endlich kann er so richtig loslegen, sich austoben. Sein Hobby und seine Leidenschaft sind – wenn auch noch nicht zu seinem Beruf – so doch zu seiner Ausbildung geworden. Und in dieser Ausbildung lernt er nicht nur, schöne Aufnahmen zu machen, das Equipment zu beherrschen und mit der Software umzugehen. Er lernt auch, schlüssige Medienkonzepte zu entwickeln, durchaus auch solche, die sich niemals realisieren lassen würden. An solchen »Luftschlössern«, wie David sie nennt, hat er besonders Spaß.
Während des Studiums schwenkt er völlig auf Film um, dreht unzählige Kurzfilme und darüber hinaus ziemlich abgedrehte Arthaus-Filme. »Einige der Arbeiten kann ich mir heute nicht mehr anschauen«, gesteht er. Man entwickle sich eben. Um sein Studium zu finanzieren, nimmt er externe Aufträge an, dreht Imagefilme für so unterschiedliche Kunden wie das KF-Theater in Dresden und das Patent- und Normenzentrum der RWTH Aachen. Als Bachelorarbeit reicht er einem 35-minütigen Film mit dem Titel »Der letzte Film« ein – ein Endzeit-Szenario einer Welt ohne Geld, einer Gesellschaft in Auflösung.
Und das Thema passt gut zu seiner Art zu produzieren. »Ich habe immer No-Budget gedreht«, erklärt er. In der Branche eigentlich eine Unmöglichkeit, aber David hat immer irgendwelche Kollegen gefunden, die ihm helfen, irgendwelche Locations, die er umsonst nutzen konnte. Er hat die (Geld-)Not zu einer Tugend gemacht. Noch ein Talent: günstig produzieren können. »Ich bin so erzogen, komme aus einer Selfmade-Familie.« So einfach kann das also sein.
David hat keinen kreativen Background, eher einen technischen. Sein Ziehvater (sein leiblicher Vater ist sehr früh verstorben) arbeitet als IT-Administrator an der RWTH, seine Mutter ist Heilpraktikerin. Als Kind bastelt er viel, lernt ein bisschen Handwerk und stellt sich dabei durchaus geschickt an. Diese Übung kommt ihm heute beim Filmemachen zugute, etwa wenn er sich seine Kulissen selbst zusammenbaut. Für »Der letzte Film« bekommt er eine sehr gute Note, doch ihm ist sofort bewusst, dass er weitermachen muss, dass er noch nicht fertig gelernt hat.
Nach einem halben Jahr Selbstständigkeit geht es mit dem Masterstudium weiter. Da ist er schon nahezu vier Jahre in Aachen, in der Stadt, die ihm, dem »Eschweiler Jung«, früher so groß und bunt und voller Kreativität vorkam. Seine Erwartungen wurden enttäuscht. Nicht, dass es an künstlerischem Potenzial fehlt – kreative Menschen gibt es in Aachen genug. Doch viele Kunstschaffende kennen sich nicht, es gibt keinen Austausch untereinander. Und genau da setzte er mit seiner neuen Idee an, die auch seine Masterarbeit werden wird: dem Poebel.
Poebeleien, Schreibmaschinen und Flashs
Neben der reinen Sichtbarmachung der Kunstwerke durch die »Postings« im Magazin bietet David noch etwas Weiteres an. »Ich organisiere für alle abgebildeten Künstler eine Ausstellung, quasi als Nachgang der jeweiligen Ausgabe. Dort können sich die Kreativen untereinander kennenlernen.« Diese »Poebeleien« sollen im analogen Medienkonzept als eine Art Chatroom fungieren und an interessanten, städtischen Orten stattfinden – etwa im ehemaligen »Kopfsülz« oder beim Straßenfestival Lothringair. Und obwohl sich natürlich einige Künstler kennen, gibt es immer noch solche, die bei diesen Gelegenheiten das erste Mal auf Gleichgesinnte stoßen.
Der Aachener Künstler Dirk Josef Nießen etwa hatte bis zu seinem Auftritt im Poebel keinen Kontakt zur lokalen Szene, hat jahrelang immer nur zuhause vor sich hingebüttelt, nie ausgestellt. »Es ist schön zu sehen, was die anderen machen«, hört man ihn in einem WDR-Beitrag sagen. Dabei wirkte er wie ein etwas schüchternes Kind, das überglücklich ist, endlich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen zu sein.
Stolz und Dankbarkeit, diese zwei Emotionen hat David bei »seinen« Künstlern oft bemerkt. Stolz darüber, dass es wirklich ihre Bilder sind, die da betrachtet und diskutiert werden. Und Dankbarkeit gegenüber dem Poebel und David, dass er ihnen diese Gelegenheit gegeben hat. Anfangs war er so sehr gerührt (oder »geflasht«, wie er sagt), dass er ganz verlegen wurde. »Mittlerweile kann ich aber ganz gut damit umgehen.«
Und dann gibt es da noch die Schreibmaschine die David regelmäßig bei Lesungen, Ausstellungen oder Theateraufführungen platziert. Mit diesem Relikt aus einer anderen, nicht-digitalen Welt können die Besucher ihre unmittelbaren Gedanken zu dem Event zu Papier bringen – anonym wohlgemerkt. Dieses direkte Feedback wandert, ebenso ungefiltert wie die Bilder, in die nächste Poebel-Ausgabe. Der Vergleich zu Online-Kommentaren liegt auf der Hand, und wie diese sind auch die Poebel-Kommentare nicht immer wohlwollend.
Heute kann David sich ausgebildeter Kommunikationsdesigner nennen – mit seiner Masterarbeit, dem Kunstkonzept Poebel, hat er sein Studium abgeschlossen. Mit guten Noten. Das bedeutet allerdings auch, dass das Studentenleben vorbei ist. – Heute muss er Geld für die Miete verdienen und kann nicht seine ganze Energie in ein nichtkommerzielles Kunstprojekt stecken. Da kommt es gerade recht, dass der Poebel seit Kurzem eine kommunale Förderung erhält. »Mit dem Geld werde ich vor allem versuchen, die Poebeleien größer zu machen, vielleicht Bands anzuheuern, oder so«, sagt David. »Und ich kann endlich den Leuten, die mich schon seit Jahren unterstützen, ein bisschen was zurückgeben.« \
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Am 8. Juli findet ein kleines Poebel-Happening im KingzCorner statt: Das Event bei Facebook.