Judith Huppertz und Christoph Verstraeten haben in der Schildstraße, unweit des Aachener Doms, eine Geigenbauwerkstatt mit Geschäft eröffnet. Ein Besuch bei »Vitula«.
VON SOPHIA WEHMEYER
Eine sonnendurchflutete Werkstatt. An der Wand hängen Stemm-Eisen. In der mächtigen, raumfüllenden Werkbank ist ein Kontrabass eingespannt. Im Radio im Regal läuft Streichermusik. Dort schmiegen sich außerdem fertige Geigen an solche, die es bald werden wollen. Das ist die neue Geigenbauwerkstatt in der Schildstraße.
An dem Kontrabass in der Werkbank arbeitet Christoph Verstraeten. Das Instrument unter seinen Händen ist für den Verleih bestimmt. »Manchmal kaufen wir Instrumente und arbeiten sie auf, bis sie sich richtig gut spielen lassen.« Zusammen mit Freundin Judith Huppertz hat Christoph Verstraeten die Geigenwerkstatt Vitula im November 2015 in der Schildstraße, nahe der Musikhochschule und dem Theater, eröffnet.
Kennengelernt hat sich das junge Paar während seiner Ausbildung an der Internationale Lutherie School Antwerpen (ILSA). Die Ausbildung an der Instrumentenbauschule sei eine Mischung aus Musikgeschichte, Akustik, Technologie, technischem Zeichnen und Ensemblestunden, die kleinen Klassen sehr international.
Nach dem Abitur wollte Judith nicht studieren, nur um zu studieren. Sie habe Praktika bei Geigenbauern gemacht und sich im Anschluss für die Ausbildung entschieden. Die Begeisterung für die Streichinstrumente kommt vom Spielen selbst, seit sie neun Jahre alt ist spielt sie Geige. Christoph kam über das Klavier zum Kontrabass und schließlich auch zur Geige.
»Die Verbindung aus Musik und Handwerk und die Beschäftigung mit einem schönen Instrument, das eine enorm lange und interessante Geschichte hat«, sei der Grund, weshalb sie ihren Job mit Begeisterung machen.
Sie stehen beide noch am Anfang ihrer Selbstständigkeit und haben nach ihrer Ausbildung beide je bei anderen Geigenbauern gearbeitet. Nun ist es passiert: »Letzte Woche haben wir Chris’ erste neugebaute Geige verkauft« – »Sie ist aber in guten Händen und wir haben noch etwas rumgealbert und Abschiedsfotos gemacht.« 120 bis 200 Stunden stecken die Beiden im Durchschnitt in einen Neubau. Für ihre Kunden gibt es hingegen meist eher andere Schmerzen zu erdulden.
Ein Vorhang trennt Werkstatt vom Kundenbereich und das aus gutem Grund: »Wir wissen was wir tun, aber für Vollblutmusiker ist es dennoch manchmal schwer zu sehen, wie dem eigenen Instrument mit Stemm-Eisen und anderem zu Leibe gerückt wird. Dabei sind die Instrumente gar nicht so empfindlich.« Teilweise sei ihr Handwerk auch schlichte Physik. 80 kg Zugkräfte wirken bei einem Kontrabass durch die Seiten gerne mal auf den Steg, der auf wenigen Millimetern Holzdecke befestigt ist. Den Weg zwischen optimaler Akustik und Stabilität zu finden, ist dabei die Kunst. »Wir schaffen hier Kulturgut«, so Christoph.
Das Geigenbauerpaar hat sich auf Restauration von Instrumenten spezialisiert. Jedes Instrument ist anders und das ist die Herausforderung. Obwohl es in Aachen und näherer Umgebung vier Streicherwerkstätten gibt, hilft man einander. »Geigenbauer sind aber auch eine sehr kleine Gemeinschaft. Da gibt es keinen Konkurrenzdruck. Wenn jemand ein Problem hat wird schnell zum Telefon gegriffen und man sucht gemeinsam nach einer Lösung.«
Auf der Theke liegen Pläne von großen Geigenbauermeistern. Sie dienen zur Inspiration. »Man kann sich Ideen holen von berühmten Geigenbauern. Das heißt aber nicht, dass man ihre Fehler übernehmen muss. Ich hinterfrage, warum ich was tue und baue nicht nur nach«, so Judith. Das unterscheide die neue Generation Geigerbauer vielleicht auch von den vorigen. Aber es bleibe ein traditionsbewusstes Handwerk.
»Wir haben einmal die Woche einen 80-jährigen Stammkunden hier, der uns eine seiner 31 Geigen zeigt und uns wahnsinnig interessante Dinge über die Geige und über die damalige Kulturszene Aachens erzählt.« Die Geschichten hinter den Instrumenten faszinieren. Und die hinter der Fassade der Schildstraße 12-14 auch. \
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FOTOS: Katrin Hanisch