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Tischgespräch

Wenn NEO ruft, dann kommen sie alle und zwar an einen Tisch: Die drei Aachener Kulturmacher Lars Templin, Oberhaupt der Musikbunker-Crew, Udo Mays, Direktor des Hotel Europa und Jörg Polzin, Pintenpapst der Promenadenstraße. Ein Gespräch über die Aachener Szene, lärmende Gäste und den Suff.


INTERVIEW CHRISTINA RINKENS

Zu Beginn: Wie ist die Aachener Szene gerade zu bewerten?
Jörg: Gerade jetzt entwickeln sich ein paar Nischen, die Südoase zum Beispiel. Das ist klasse.
Udo: Das Onrust gehört auch in die Reihe.
Jörg: Gut, dass es das inzwischen gibt. Sonst gab es immer nur die Raststätte oder das Leerzeichen, die in die Richtung gingen.
Udo: Wenn wir jetzt schon bei der Aachener Kulturszene sind: Ich finde es schade, dass bei Open-Air-Veranstaltungen oft abends nach zehn nichts mehr geht. Als ich nach Aachen gekommen bin, habe ich Señor Torpedo noch im Park gesehen – spät abends. Irgendwann haben die dann angefangen, alles um zehn Uhr dicht zu machen. Wenn man eine funktionierende Stadt haben will, darf das einfach nicht sein. Den Marktplatz abends um zehn Uhr räumen – in welcher Stadt gibt es denn sowas.
Jörg: Tja, in Aachen sind manche eben gleicher als andere. Die Kurpark Classix zum Beispiel.
Udo: Ist ja auch schöne Musik.
Jörg: Sag ich ja auch nichts gegen, aber die dürfen. Versuch Du mal, im Stadtpark eine Veranstaltung zu machen.

Haben sich die Umstände verändert?
Jörg: Also die Leute sind, wenn Du das mit früher vergleichst, klage- und beschwerdefreudig. Sobald es heute ein bisschen lauter ist, wird schon das Ordnungsamt gerufen.
Udo: Den Trend gibt es natürlich deutschlandweit, das ist jetzt nicht nur in Aachen so. Wie jemand auf die Idee kommt, in einer Stadt mit vielen Menschen zusammen zu leben und zu denken, um zehn Uhr haben gefälligst alle die Fresse zu halten, weil dann die Tagesschau, der Krimi oder das Komödianten-Stadl vorbei sind … Du kannst in einer Stadt nicht um zehn Uhr das Licht ausmachen. Das wäre dann eher Ödland.

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Lars Templin vom Musikbunker

Was sagt Ihr den Nörglern?
Udo: Bei uns in der Südstraße gab es im letzten Jahr nur einige Einbrüche. Wenn wir auf haben, passiert in der Straße nichts. Und das muss man natürlich auch mal so sehen.
Jörg: Das wissen unsere Nachbarn auch, wenn wir auf haben und Licht in der Straße ist, fühlt man sich beim Durchgehen nicht unwohl.
Udo: Für mich ist das auch ein ganz klares Votum für Clubs und Kneipen in Wohngebieten. Geh mal in eine Stadt, in der Du reine Wohngebiete hast, in denen keine Lokale sind. Und dann geh da mal Nachts alleine über die Straße …

Alle Eure Läden liegen außerhalb des Sektors um Markt und Pontstraße. Wie bewertet Ihr die Pontstraße?
Jörg: Mallorca, Ballermann, Junggesellenabschiede.
Udo: Ich komme ja aus Eschweiler. Wenn ich Leute aus Eschweiler sehen will, fahre ich nach Eschweiler. Dafür muss ich nicht in die Pontstraße gehen.
Jörg: Ich sage auch immer, lass die Erstis sich da oben erstmal austoben. Danach können sie die anderen Läden entdecken.
Lars: Also ich war ehrlich gesagt in den letzten Jahren nicht da. Aber man hört ja viel. Und ich muss sagen, dass die Leute bei uns anders drauf sind. Vor allem im Umgang miteinander ist man netter. Die haben kapiert, worum es geht, wenn man in so einen Club geht. Nämlich ums Feiern und Glücklichsein. Ohne Stress und Krawall.
Jörg: Wie bei uns.
Udo: Und bei uns. Wir haben mal mit einem Passanten Stress gehabt, der uns die Scheibe eingeschlagen hat. Die Polizisten meinten, dass sie uns gar nicht kannten und auch keine Akte von uns hatten. Eigentlich ein super Zeichen.

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Udo Mays vom Hotel Europa

Seid Ihr jeden Abend im Laden?
Jörg: Jeden Abend bin ich jetzt auch nicht mehr da, krankheitsbedingt. Aber ich hänge mit Herzblut an den Läden. Das tun wir ja alle letztendlich.
Udo: Ja, also ich glaub, dass das der große Unterschied ist – mit welcher Intention man einen Laden betreibt. Ob Du einen Ort schaffst, an dem man selbst gerne ist. Oder ob man was machst, um einfach nur Geld zu verdienen.
Lars: Das ist im Musikbunker eine andere Nummer, wir sind eine Gemeinschaft. Ich selber bin eher selten bei den Veranstaltungen. Das hat auch was damit zu tun, dass man all diese anderen Aufgaben erfüllen muss. Das würde man gar nicht schaffen, wenn man am Wochenende bis morgens aus ist.
Udo: Ich feiere trotzdem oft bis zum Schluss mit.
Jörg: Ich auch, aber ich brauche mittlerweile länger, um mich wieder zu regenerieren.

Welche Rolle spielen Straßenfeste für die Aachener Subkultur?
Udo: Die sind natürlich prima
Lars: Lothringair und Südstraßenfest fallen mir da ein. Jörg hat seinen Plan, in der Promenadenstraße ein weiteres Straßenfest zu machen, trotz vielversprechender Ansätze, leider nicht durchgezogen.
Jörg: Ich hatte keinen Bock, die Arbeit wieder mal für alle zu machen. Erst sagen alle: »Oh prima, ein Straßenfest.« Und dann will sich doch keiner die Arbeit machen.
Udo: Das Kimiko gab es auch noch.
Jörg: Ich fand toll, dass der Park dafür freigegeben wurde.
Lars: Vom Festcharakter finde ich das alles auch nett. Und ich finde, da entwickelt sich etwas in den letzten Jahren. Ich muss allerdings sagen, dass ich da musikalisch oft nicht so begeistert bin.
Udo: Macht Ihr eigentlich in diesem Sommer wieder was im Kennedypark?
Lars: Wahrscheinlich nicht. Ist halt sehr aufwendig mit ungewissem Ausgang.
Jörg: Das finanzielle Risiko wird immer größer.

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Diese drei Herren haben viel mehr gemein, als nur die Haarfarbe: Udo Mays, Lars Templin und Jörg Polzin bestimmen mit ihren Läden und Aktivitäten die Aachener Subkultur maßgeblich mit.

Habt Ihr ein großes Team um Euch oder macht Ihr alles selbst?
Lars: Wir sind eine große Gemeinschaft, die Dinge solidarisch ermöglicht. Wir machen ja auch Dinge mit großen Kosten, die eben von allen mitgetragen werden. Und damit das Ganze ermöglichen. Und so ticke ich auch. Das gibt mir die nötige Motivation. Deshalb finde ich mich im Musikbunker wieder und mache den Job sehr gerne.
Jörg: Bei mir sind die Läden in letzter Zeit leider ein bisschen nebenher gelaufen. Früher wurde der Personalstamm viel mehr in Überlegungen miteinbezogen, da wurde der Els ausgepackt und die verrücktesten Ideen kamen auf den Tisch.
Udo: Bei uns arbeiten durch die Bank nur Leute, die den Laden mit tragen – sei es durch kreativen Input, durch ihren Einsatz und ihre Liebe zur Sache.

Und wie ist es mit den Gästen?
Udo: Was mich besonders freut, ist, dass besonders viele Menschen zu uns kommen, auf die ich wirklich Bock habe. Bei uns werden alle wie Gäste behandelt, sie haben sich aber tunlichst auch wie solche zu verhalten.
Jörg: Ist bei mir auch so. Man muss seine Gäste auch irgendwie erziehen. Hört sich zwar hart an, aber bevor du den Laden dann zumachen musst, weil die Nachbarn sich alle aufregen …
Lars: Aber ich weiß nicht, ob das früher wirklich anders war. Sind denn die Leute etwa lauter geworden?
Udo + Jörg: Die Leute sind sensibler geworden.
Jörg: Nimm doch das Frankenberger Viertel, da ziehen sie alle hin – weil das so hip ist, aber bitte nicht mehr nach 22 Uhr.
Lars: Ich glaube, dass viele Leute einfach immer noch so sind und das akzeptieren. Aber es gibt eben auch ein paar, die sich aufregen.
Udo: Brauchst ja nicht viele.
Jörg: Reicht einer.
Udo: Kann nur immer wieder diese schöne Szene erwähnen: Da ist nachts ein Fahrradfahrer bei uns auf der Straße gestürzt. Auf der Straße vor dem Auto liegend, hat er vor Schmerzen geschrien. Und da hat tatsächlich jemand »Ruhe« gerufen.
Lars: Lärm ist so eine Sache von gegenseitiger Rücksichtnahme. Ich bin selber auch eher ein ruhiger Typ. Ich habe null Verständnis dafür, wenn sich jemand nachts um vier auf die Straße stellt und rumbrüllt.
Udo: Das kann ich direkt so unterschreiben.
Lars: Bei uns ist es jedenfalls angekommen, dass man ruhiger sein soll.
Jörg: Schade ist es trotzdem. Früher war das so, da ging man als Nachbar runter, hat sich kurz beschwert und alles konnte schnell geregelt werden. Heute wird direkt das Amt angerufen. Oder die Polizei.

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Jörg Polzin vom Kiez Kini, der WG und dem Sturmfrei

Also müssten die Lärmschutzmaßnahmen überdacht werden?
Lars: Ich finde, die gesetzlichen Regelungen müssten überdacht werden. Gegen Verkehrslärm kann man zum Beispiel nicht so leicht klagen. Niemand würde an einer viel befahrenen Straße, das Schlafzimmer zur Straße, bei offenem Fenster schlafen wollen. Eine analoge Regelung für das Leben in der Stadt wäre in meinen Augen sinnvoll. Ich hab mal gelesen, dass sie in London Bruce Springsteen und Paul McCartney gemeinsam auf der Bühne den Strom abgedreht haben. Das heißt, das ist ein globales Problem.
Jörg: Aber es gibt ja auch Ausnahmeregelungen. Rheinkultur, mittlerweile RockAue, in Bonn hat es auch geschafft, zehn oder 15 Terminen zu bekommen, an denen es später werden darf. Geht ja auch. Wieso soll das in Aachen nicht gehen?
Udo: Das geht ja sogar in den Nachbardörfern.
Lars: Ja, ich glaub, die Dörfer sind da ein bisschen entspannter.
Udo: Es geht einfach darum, ob man eine lebendige Stadt haben will. Wenn ja, gilt es Freiräume zu schaffen und bestehende nutzbar zu machen. Natürlich ist das nicht einfach.
Lars: Wir haben die Wahrnehmung, dass die Kommune sehr kooperativ ist und immer versucht, Lösungen zu finden.
Udo: Die Stadt Aachen hat das unglaubliche Glück, ein Potential an Leuten zu haben, das sie total gut anzapfen könnte. Die Zusammenarbeit wäre sicherlich ausbaufähig – um gemeinsam etwas zu bewegen.

Was wünscht Ihr Euch? Wenn Ihr der Stadt Aachen sagen könntet, was Ihr gerne hättet?
Udo: Alle paar Monate mal ne schöne Location, die man einfach multiple nutzen kann für alles. Am besten eine alte Fabrik.
Jörg: Und dass einfach mehr Open-Airs möglich sind in der Stadt und nicht nur draußen, auf einer weit entfernten grünen Wiese. Wir haben ja eigentlich genug Möglichkeiten in der Stadt selbst.
Udo: Ist ja nicht so, als hätte die Stadt Aachen keine Liegenschaften, davon bin ich ziemlich überzeugt, dass das nicht sein kann. Über dem Ordnungsamt ist mit Sicherheit auch eine schöne Etage, auf der man mal schön was an Silvester machen kann. (lacht)
Lars: Da oben die Kantine ist toll.
Udo: Siehste!
Lars: Blick über die ganze Stadt, da könnte man gut Party machen … Echt genial, sogar nett eingerichtet, mit Möbeln drin. Bisschen umräumen, schön Licht rein und ab dafür.
Udo: Wär vielleicht ganz schön, wenn das funktioniert und die einmal sehen: Das ist geil.

Und zu guter letzt: Seid Ihr Partner oder Konkurrenten?
Lars: Also ich find eigentlich, dass diese szenetypischen Läden sich weniger in Konkurrenz zueinander befinden. Klar, man ist immer ein bisschen in Konkurrenz um bestimmte Menge von Publikum. Aber ohne die Läden der Anderen gäbe es diese kulturelle Vielfalt nicht.
Jörg: Und wenn es die nicht gäbe, wäre Aachen um vieles, vieles ärmer. Wenn es kein Hotel Europa gäbe, keinen Musikbunker, kein Voltaire, keine Südoase. Und ich bin froh, dass in den letzten Jahren überhaupt so viel Vielfalt und Neues entstanden ist. Eine Zeitlang war ja wirklich Stillstand.
Udo: Und trotzdem finde ich das angesichts der Anzahl der Studenten, die wir haben, immer noch total wenig.
Lars: Also ich würde ganz allgemein sagen, dass Aachen wegen der vielen Studenten ja eher eine junge Stadt ist. Und wenn ich mal die Szene so beurteilen würde, würde ich sagen »Da ist noch Luft nach Oben«.
Udo: Das hätte man also auch alles mit einem Satz sagen können heute. Vielen Dank.
Lars: Ja, ich wollt das mal so griffig sagen.
Udo: Ja, geil!

Klenkes NEO bedankt sich für das Gespräch!