von DIETER COMOS
Michaël Bridoux am Eingang des Lütticher Cafés »Pot au lait« zu erkennen fiel nicht schwer. Sein Hawaiihemd war der nicht zu übersehende Hinweis auf sein EXOTICA Orchester »The left arm of buddha«, das Top-Act des diesjährigen Weltmusikfests ist und deren Bühnenshow und Verwurzelung in der Tiki Kultur und Szene meine Neugier geweckt hatte. Ein Konzert wo die Cocktailbar praktisch zur Bühnenaustattung gehört und die Tänzerinnen „süß wie Mangos und Limonensaft“ sind, verspricht ja schließlich auch eine enstpannte Abendunterhaltung.
Die Idee eine Show zu erarbeiten, die anders als üblich den Fokus ganz und gar auf die Musik, also den Musikstil und nicht auf die individuellen Stärken der Bandmitglieder legt, ist dem Gitarristen, Perkussionisten und Bühnenregisseur interessanterweise 2002 beim Auftritt des flämischen Mambo-Orchesters »El tatoo del tigre« auf dem Eupen Musikmarathon gekommen. Sie hätten es geschafft, Besucher mit den unterschiedlichsten musikalischen Vorlieben zu begeistern und zum Tanzen zu bringen, was ihn damals wirklich von den Socken gehauen habe. Bilder von Kuba hätten in seinem Kopf gesprudelt, eine echte musikalische Reise eben, auf die das 28köpfige Orchester die Leute mitgenommen habe. Denselben Anspruch hat auch seine Band.
Meine Vorstellung von einer europäischen Tiki-Exotica Szene wird am Anfang des Gesprächs schnell revidiert. Trotz des großen Einflusses des Tikis auf die Popkultur ist er vor allem ein amerikanisches Phänomen geblieben; die Musik hat es damals nie wirklich über den großen Teich geschafft und es gibt kein auf diese Musik spezialisiertes Publikum oder gar eine aktive Szene in unseren Breitengraden. Das heißt aber nicht, dass die Leute nicht neugierig sind; die Konzerte sind eigentlich immer ausverkauft. Ähnlich wie in der Rockabilly-Szene spielt die Band hauptsächlich im Rahmen von 50iger Jahre Treffen und Märkten. Zwischen Oldtimern, Totemfiguren, geschnitzten Cocktailbechern und natürlich Kleiderverkaufständen-wo wir wieder beim Hawaihemd wären-sorgt die Band für die richtige Stimmung. Von einer Philosophie oder Tiki Kultur zu sprechen, der sich die Band zugehörig fühlt, ist ein weiteres Missverständnis, das sich im Laufe des Gesprächs aufklärt. Die ganze Sache ist nämlich eigentlich ein Riesen Fake. Amerikanische Soldaten waren während des Pazifikkriegs mit Elementen der Südseekultur in Berührung gekommen. Nach ihrer Rückkehr fingen sie an klimatisierte Paradiese, sogenannte Tikibars, zu errichten, in denen sie eine erfundene Südseewelt zeichneten und die Menschen glauben machten, dass sie echt sei. Naiv nachempfundene sowie komplett der Phantasie der Musiker entsprungene Melodien der Südseemusik wurden in den Bars mit aktuellen amerikanischen Strömungen wie Jazz, Boogie-Woogie oder kubanischer Musik vermischt. Selbstverständlich hatte es in der westlichen Kunstgeschichte bereits eine Auseinandersetzung mit der authentischen Kunst und Lebensweise polynesischer indigener Völker gegeben. Die breite Masse akzeptierte jedoch bereitwillig die von Geschäftsleuten initiierte Durchdringung aller Lebensbereiche (Mode, Architektur, Wohnkultur, Ess-und Trinkgewohnheiten) mit dem kommerzialisierten Tikigeist. Beim Plätschern eines künstlichen Wasserfalls und beim Schlürfen eines exotischen Cocktails ließ sich einfach leichter die schwere Kriegszeit vergessen und Optimismus für die Zukunft entwickeln. Die Leute waren buchstäblich in einem utopischen-eskapistischen Traum versunken, der nach einem Jahrzehnt mit dem Vietnamkrieg jäh endete. Ab diesem Zeitpunkt haftete der Tikikultur das Stigma des Spießertums an.
Die Show von »The Left Arm Of Buddha« ist durchaus auch eine Hommage an das Kino der 50iger und 60iger Jahre. Bridoux, ein Fan von Serien und Filmen aus dieser Zeit, berichtet im Gespräch wie auch Hollywood komplett auf den Tiki Zug aufsprang. Klassiker wie »Meuterei auf der Bounty« oder »Tarzan« sind exemplarische Beispiele, aber noch unendlich viele andere Filme wurden produziert. Auf Leinwänden laufen während des Konzerts diese Filme und die Tänzer (übrigens nicht nur Frauen) sind das menschliche Bindeglied zwischen dem Film und dem Geschehen auf der Bühne. Zu sehen sind also homogene und reflektierte Visuals, die den Boden dafür bereiten, dass die Tänzer tanzen können. Mal entrückt atmosphärisch, mal rituell-ekstatisch.
Das wir heute noch auf Originalmusik aus der Blütezeit der Tiki-Kultur zurückgreifen können, wie z. B. auf das Stück »The Left Arm of Buddha« von Martin Denny nach dem sich die Band benannt hat, ist der Unverwüstbarkeit des Mediums Vinyl geschuldet. Fast siebzig Jahre nach Pressung kann man dem Urvater und Namensgeber des Exotica Genres immer noch mit Genuss zuhören. Die Band fühlt sich daher regelrecht ihren Fans verpflichtet ihre Musik auf Vinyl herauszubringen; natürlich stilgerecht als sieben Zoll Single. Die letze Pressung »Monkey’s affair« ist leider vergriffen, kann jedoch auf der Bandcamp Seite der Band im digitalen Format erworben werden. https://laobsound.bandcamp.com/
Wir sehen uns morgen zur Show im Zirkuszelt im Temsepark. Der Dresscode? Hawaiihemd natürlich !