Gestern bei TV Total, 2011 schon bei uns im Heft. Shoutcoach Thomas Fischer aus Aachen. VON KIRA WIRTZ
Thomas Fischer, 35, gibt in seiner freien Zeit Unterricht im Schreien. Im Austausch mit Gesangslehrern und Logopäden hat er eine Methode entwickelt, mit der es sich ohne Heiserkeit und Schmerzen stundelang Schreien lässt. Was sich im ersten Moment nach Sparten-Interesse anhört, hat mehr Anhänger als der Nicht-Szene-Kenner annimmt.
»Also zuerst mal, Shouten ist ein Synonym für alle möglichen Techniken im gutturalen Gesang.« Hier spricht einer, der Ahnung hat. Thomas Fischer, Musiker, Metal-Fan und langhaarig, hauptberuflich allerdings Biologe, hat aus seinem Hobby einen zweiten Beruf gemacht. Er gibt anderen Leuten Unterricht im Schreien. Als Shouter für verschiedene Metalbands hat er rund 15 Jahren Shout-Erfahrungen in Studios, Proberäumen und Bühnen. Und jetzt gibt er sie an andere weiter. Mit Sachlichkeit, ohne Gebrüll.
Guttur ist lateinisch und bedeutete »Kehle«. Der gutturale Gesang ist also ein Kehlgesang, der durch den Einsatz von Grunzen und Knurren (Grunting und Growling), klarem Rufen (Shouting) oder hohem Schreien oder Kreischen (Screaming) erzeugt wird. Eingesetzt wird das vornehmlich in Spartenbereichen des Metals, wie dem Thrash-, Death- oder Black Metal.
Und obwohl fast keine Band in diesem Bereich ohne einen Shouter, Screamer oder Growler auskommt, sind Lehrer in diesem Bereich Mangelware. Zwar kursieren im Internet Videos zum Nachmachen, zwar beschäftigt sich in fast jeden Metalforum mindestens ein Threat mit Tipps, möglichen Techniken und jeder Menge B-Wissen, doch richtige Hilfe bekommt ein Anfänger selten. »Die Leute wissen zwar, was sie wollen, nur nicht wie sie es erreichen können.« Hier kann Thomas helfen. »Ich hab Shouten – so wie die meisten – durch try & error gelernt. Ich hab aufgehört, wenn es schmerzte. Ich bin 3 Jahre durch wirklich tiefe Täler gegangen.«
Heute spricht er über das »Schreien-Lernen« wie ein Gesangslehrer, erklärt wo Obertöne her kommen, wie sie sich bilden und macht es seinen Schülern vor. Er spricht mit Logopäden über alle möglichen Gefahren und Risiken. Denn das Verletzungsrisiko für die Stimmorgane ist für Ungeübte hoch und nicht selten.
Ursprünglich war das Singen oder auch Schreien in einer Band nie Thomas erklärtes Ziel. Musik machen war für ihn das Wichtige. Ab dem 12. Lebensjahr hat Thomas Bass gespielt, immer in Bands. Als er 20 Jahre war, fehlten seiner derzeitigen Band Backing Vocals, so sprang er ein. Das war sein Einstieg in die Shout-Karriere. Ab da hat er sich kontinuierlich weiterentwickelt. Hat geübt, versucht, einiges falsch und mit der Zeit auch vieles richtig gemacht. Heute weiß er, wo die Töne erzeugt werden, wie man Stimmbänder schont. »Was ich meinen Schülern jetzt in vier Monaten übermittel, da hab ich gut sechs Jahre für gebraucht.«
Dass man aus der Schreierei mehr machen kann, erkannte er zufällig. »Ein Bandkollege von mir hat seine Zwischenprüfung zum Sänger an der Uni Arnheim gemacht. Da traten wir mit unserer Band auf. Nach dem Gig kamen ein paar Dozenten auf mich zu und meinten: Boah krass, du bist gar nicht heiser. Da dachte ich mir: Wenn das Dozenten interessiert, dann bestimmt auch andere.« Seinen ersten Schüler hatte Thomas 2004. Ein Fan seiner damaligen Band bat ihn, ihm das Schreien beizubringen. Und das hat Thomas auch gemacht. Damals noch ohne Geld und probeweise. Irgendwann sprach sich Thomas Unterricht rum. »Der Fan hatte Kumpels, die wollten auch Schreien lernen und so gings los.«
Zurzeit hat er 7 Schüler, doch die Nachfrage steigt. Unterricht gibt er in Aachen, Mönchengladbach und Köln. In Proberäumen. Nicht weil die Musikschule ihm keinen Raum geben will, sondern weil die Atmosphäre im Proberaum besser ist. Der ranzige Proberaum passe besser zur Spartenmusik als ein Musikschulraum, sagt er. Übrigens wollen nicht nur Männer Shouten lernen. Gerade ist wieder eine Schülerin da. »Mädchen haben zwar eine schlechtere Rumpfmuskulatur, dafür mehr Talent und Biss.« Ansonsten läuft sein Unterricht ab, wie ein gewöhnliches Gesangstraining, egal ob Mann oder Frau. »Singen und Shouten treffen sich auf mehreren Ebenen.« So ist die Basis fürs Shouten die Atemtechnik des klassischen Gesangs. Alles andere muss Thomas für sein spezielles Training modifizieren. »Am Anfang ist es echt ätzend. Beim einen tun es die Bauchmuskeln nicht, beim anderen ist die Atemtechnik quasi nicht vorhanden, der letzte hat möglicherweise keine Muskulatur in Kehlkopf.« Aber so ist das eben, wenn man etwas neu erlernt. Der Anfang ist schwierig.
Auch für Thomas: Da es in der Umgebung, aber auch generell, kaum Leute gibt, die sich so intensiv mit dem Schreien auseinandersetzten, gibt es beispielsweise auch keine Lehrmittel. Die muss Thomas erstellen. Sorgfältig fasst er seine Stunden zusammen, schreibt verschiedene Übungen auf, die er entwickelt hat oder passt klassische Gesangsübungen den Shout-Bedürfnissen an. Generell gilt für Schreien und Singen: Jeder kann es erlernen. »Aber mal ganz ehrlich: Nicht jeder, der es lernt, wird auch später mit einer Band auf einer Bühne stehen. Es gehört auch noch die gewisse Prise Talent und Taktgefühl dazu.« Wenn einer seiner Schüler weder das eine noch das andere aufweist, kann auch Thomas nichts mehr machen.