Wie Sneaker in den Jugenkulturen des 20. Jahrhunderts zum Kultobjekt wurden.
VON MICHAEL BREUER
Ein Abend im Madison Square Garden, 1986. Auf der Bühne performt das Rap-Trio Run DMC. Bei ihrem Hit »My Adidas« wedeln auf einmal vierzigtausend Fans mit ihren Adidas-Sneakern. Die extra für das Konzert angereisten Vertreter der Firma mit den drei Streifen schauen sich grinsend an – und beschließen den ersten Ausrüstungsvertrag für Nicht-Athleten in der Geschichte des Konzerns. Dieses Ereignis zählt bis heute mit zu den Geburtsstunden des Sneaker-Hypes. 2014 sind Sneaker überall angekommen und verkaufen sich so gut wie nie zuvor.
Dass das Tragen von Turnschuhen früher einer großen Portion Rebellentum bedurfte, erzählt die Geschichte über die Verbindung von Sneakern und Jugendkulturen. Diese Geschichte lässt sich bis ins England der 60er und 70er zurückverfolgen. Neben einer Vespa mit 69 Rückspiegeln und hunderten Northern Soul Platten im Wandschrank gehörten damals auch Tennisschuhe zu den Statussymbolen der »Mods«. Diese Jugendlichen, die der englischen Arbeiterklasse entsprangen, wollten sich mit ihrem Oberschichten-Look von ihren Eltern abgrenzen.
»Mods« und ihre Erben
Eine Dekade später fanden die Arbeiterkinder wieder zu ihren Wurzeln zurück – und drückten das auch in ihrem Kleidungsstil aus. Arbeiterstiefel und Hosenträger prägten das Bild des maskulinen Skinheads, der neben Reggae- und Ska-Konzerten auch die Fußballstadien des vereinigten Königreichs besuchte. Die rasierten Köpfe und die Stiefel mit den Stahlkappen waren bei Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Fans zwar von Vorteil, aber das stereotype Auftreten half auch der Ordnungsmacht bei der Identifizierung von Störenfrieden im Stadion.
In der Hochphase der englischen Hooligankultur, die sich von den Idealen der Skinheads losgelöst hatte, musste ein neuer Stil her. Die Jungs wollten ja schließlich nicht schon beim Einlass ins Stadion aussortiert werden. Als »Casuals« traten sie das Erbe der »Mods« an und warfen sich in exklusive Luxuskleidung, deren Stil sich von Verein zu Verein unterschied. Da die Arbeiterkinder aber natürlich nicht immer das nötige Kleingeld für Armani und Co. parat hatten, wurden bei Auswärtsspielen auch gerne mal ganze Luxusboutiquen in Italien oder Frankreich ausgeräumt. Davon gelaufen sind sie dann vorzugsweise auf ihren Tennisschuhen von Lacoste oder den neuen »Sambas« von Adidas, dem Schuh der Fußball-Fan-Kultur schlechthin.
B-Boys und „Superstars“
Dann gibt es da noch diese urbane Legende, die besagt, dass der Sneaker-Hype erst wirklich in New Yorks Metros an Fahrt aufnahm. Dort saßen sich die Leute in engen Waggons gegenüber und starrten sich gegenseitig auf die Füße, um Blickkontakt zu vermeiden. Also waren die Schuhe so etwas wie die Visitenkarte – und wer etwas auf sich hielt, der wollte natürlich mit stylischen Sneakern auf sich aufmerksam machen. Breakdance auf New Yorks Straßen der 70er und 80er – für die artistischen Moves auf dem Boden brauchten die ersten B-Boys zwar ein robustes Schuhwerk, aber auf Style wollten sie auch nicht verzichten. Die Wahl fiel neben dem Pro-Keds Royal (einem der ersten Sneaker überhaupt) auf die erstmals 1969 veröffentlichten adidas »Superstars«. Die niedrig geschnittenen Basketball-Schuhe mit der muschelförmigen Zehenkappe wurden dann auch im gerade entstehenden Rap populär und die Band Run DMC trieb den Hype um adidas auf die Spitze – womit wir wieder bei der Anfangs beschriebenen Szene wären. Zeilen wie „We make a mean team, my Adidas and me / We get around together, we down forever“ verwiesen auf die Verbindung von eigener Identität mit dem Adidas-Sneaker.
Der Trend, die Superstars ohne Schnürsenkel zu tragen, soll übrigens daher rühren, dass Insassen in Gefängnissen ihre Schnürsenkel abgeben mussten, um diese nicht gegen sich oder andere einsetzen zu können. Die Kids auf den Straßen versuchten dann, damit ein böses Gangster-Image zu transportieren. Aber auch bunte und breite Schnürsenkel, die Laces genannt werden, wurden zur Individualisierung der Sneaker eingesetzt. So ein paar neue Laces kommt für einen Teenager natürlich günstiger als ein Paar neue Adidas. Für den Werterhalt und Style hatten sie dann auch meistens eine Zahnbürste dabei, um den Straßendreck sofort wegbürsten zu können.
Verboten gut: der »Air Jordan 1«
Bereits in den 80ern war in den Staaten ein Basketball-Schuh erstmals innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Nike hatte damals das aufstrebende Basketball-Talent Michael Jordan mit einer eigenen Ausrüstungskollektion ausgestattet, um gegen die Konkurrenz aufzuholen. Jordan präsentierte den »Air Jordan 1« erstmals 1984 bei einem Vorsaison-Spiel der Chicago Bulls. Durch seine Farbgebung in schwarz und rot verstieß der Schuh gegen eine Liga-Regel, die weißes Schuhwerk an den Füßen der Spieler vorschrieb. Er verstieß also jedes Mal beim Auflaufen gegen die Regeln. Dass das den Medien jedes Mal eine Meldung wert war, sorgte für jede Menge unbezahlte (und unbezahlbare!) Werbung. Die Schuhe wurden in den Spiel-Übertragungen sogar mit schwarzen Balken unkenntlich gemacht, aber das machte sie für Fans nur noch begehrenswerter.
Dass Sneaker heute gesammelt werden, ist für die Leute, die sich länger mit dem Phänomen beschäftigen, ein alter Hut. Sneaker sind zum kulturellen Kapital einer Fankultur geworden, mehr als nur »Turnschuhe«. Dass erwachsene Männer und Frauen nächtelang vor Sneaker-Stores campieren, um limitierte Editionen zu ergattern, ist ein Trend, der in den letzten Jahren auch verstärkt in den großen Medien auftaucht. Insbesondere Retro-Releases, also Neu-Veröffentlichungen von alten Modellen, sind heute innerhalb weniger Minuten ausverkauft. 2014 zeigt sich die Sneaker-Kultur sehr vielschichtig: Als modisches Accessoire sind die bequemen Treter voll im Mainstream angekommen, ein subkulturelles Statement sind sie schon lange nicht mehr. Auf Sneaker-Conventions trifft sich die Szene, um zu kaufen und verkaufen, zu tauschen und sich über aktuelle Trends zu informieren. \
Die beiden Sneaker-Illus stammen aus der Feder von snkr.art.
Über seine persönliche Sneaker-Geschichte hat unser Autor schon früher in diesem Blog geschrieben, nämlich genau hier.