In Aachen eingeschlafen, in Berlin aufgewacht – und mit drei Schritten auf die Mini-Woodstock-Bühne spaziert.
VON LOTTE AMIAN
Ich klettere von hinten auf die Bühne und lege mir meine Gitarre um, während Udo Mays mich ankündigt. Von der Straße sehen mir einige neugierige, erwartungsvolle Augen entgegen. Ein letzter tiefer Atemzug und ich beginne zu spielen. Zehn Lieder sind auf meinem neuen Album, einige davon spiele ich zum ersten Mal in Aachen, da der Tonträger in England zustande gekommen ist. Es ist schön, endlich meinen Songwriting-Koffer zu öffnen und meine Heimat am Inhalt teilhaben lassen zu können.
Die Sonne strahlt, während ich meinen letzten Akkord ausklingen lasse. Ich packe meine Sachen zusammen und steige von der Bühne, wo ich mit liebenswerten Kommentaren in Empfang genommen werde. Jetzt heißt es: entspannen und den Rest des Festivals genießen. Noch nicht ganz, Rick Opgenoorth bietet mir einen zweiten Auftritt am Sonntag an. Ich nehme an.
Euphorie liegt in der Luft
Die Südstraße ist das ganze Jahr lang ein besonderer Ort, an dem Generationen, Schichten und Kulturen aufeinander treffen. Die Bauernregel, den Nordseeurlaub für die Zeit des Südstraßenfestivals zu buchen, bewahrheitet sich jährlich aufs Neue, denn das Wetter wird jedes Mal schlagartig grandios. Einziges Problem dabei: Man verpasst Aachens eindrucksvollstes Event des Jahres.
Lebt man in der Südstraße, kann man der wachsenden Vorfreude auf das Festival kaum entkommen. Zuerst liegen die ersten Flyer aus, dann lächelt man sich selbst von jeder zweiten Hauswand entgegen, bis man eines Samstagmorgens aufwacht und Musik, das Hämmern und Schrauben des Aufbaus und ein freudig-nervöses Stimmengewirr durch die Fenster dringt. Man zieht den Vorhang zur Seite und mitten auf der Straße, die man tagtäglich auf und ab läuft, ist über Nacht eine riesige Bühne entstanden.
Nachdem es am Samstagabend eng um die auf der Straße aufgestellten Wohnzimmer-Möbel wird, während Rotfront und Grundrauschen von der Bühne aus Energiewellen ins Publikum feuern, ist es am Sonntagmorgen wieder recht ruhig zwischen den Häusern. Verkaterte Partyvögel frühstücken, während Galleur mit ruhigen Elektrobeats den Tag einleitet.
Wohnzimmer im Spätsommer-Park
Auf dem Spielplatz wird schon fleißig im Sandkasten gewühlt und Flohmarktstände aufgebaut. Mein Freund und Mitmusiker, Jack Devaney, und ich setzen uns zu der kleinen Bühne neben dem im Gras aufgebauten Mischpult des Hochschulradios und lauschen den beruhigenden, berlinerischen Worten, die ein Musiker ins Mikrofon murmelt.
Während aus der Südstraße neue Bässe durch die Backsteinwände dringen und das Tanzvolk sich mit neuen Festival-Bändchen versorgt, hat sich der sonst so öde Spielplatz in eine Ruhe-Oase verwandelt. Die gewohnte Hotel-Europa-Atmosphäre hat sich auf einen 500 Meter Radius ausgeweitet.
Erneut beginne ich, mein leicht abgewandeltes Akustik-Set zu spielen und freue mich, wenn ab und zu ein Kind einen halben Meter vor mir zu mir herauf lächelt. Die Stimmung ist intim und entspannt, während Jack und ich auch unsere gemeinsamen Lieder anstimmen und ich ihm letztendlich das Mikrofon ganz überreiche, sodass auch er seine 60s-Rock-Songs mit den Zuhörern teilen kann.
Energiegeladene Endrunde
Am Sonntagabend ist die Straße wieder rappelvoll. Dieses Mal gibt es jedoch im Gegensatz zum Vortag ein bisschen Platz zum Tanzen, was sich bei den Quicksteps und Xamanek auch kaum unterdrücken lässt. Die glückliche Meute feiert, als gäbe es keinen Montag.
Doch der Montagmorgen kommt und ist nach dem Südstraßenfestival besonders deprimierend. Die Straße hat rasant wieder ihren ursprünglichen Zustand angenommen. Hier und da erinnern unschöne Souvenirs auf dem Asphalt an das stilvolle Fest. Die bunten Farben sind verschwunden.
Geblieben ist ein Großstadt-Feeling und die Vorfreude auf das nächste Jahr, die einem den kalten Winter versüßt. \
Lotte Amian tritt unter dem Künstlernamen »Naima« auf. Wer mehr über sie wissen möchte, geht zu: facebook.com/Naima.official
LINK: Bildergalerie – so sah’s aus beim Südstraßenfestival 2014 (klenkes.de)