Femke ist 18. Auf einer Silvester-Party hat ihr jemand Speed ins Glas gemischt, danach erinnert sie sich nicht mehr an viel. Für die Ärzte war sie nur eine von Vielen, für ihre Eltern ist die Erfahrung der blanke Horror.
INTERVIEW MARCUS ERBERICH
Femke, an Silvester hat dir jemand was ins Glas getan. Ist das heute ein sensibles Thema für dich?
Also, ich kann gut darüber sprechen. Aber es ist nicht so, als müsste ich die ganze Zeit darüber reden. Es ist passiert und daran kann ich nichts ändern.
Wo ist dir das passiert?
Das war auf einer Verbindungsparty, auf der ich mit Freunden war. Dass wir überhaupt da waren, war vollkommener Zufall. Ich habe mit der Verbindung eigentlich gar nichts am Hut.
Wann hast du bemerkt, dass mit dir was nicht stimmt?
Meine Freunde haben nachher erzählt, sie hätten sich Sorgen gemacht, weil ich plötzlich abgedreht bin. Das ist eigentlich nicht meine Art. Ich war nicht mehr ich selbst. Ich war anhänglich – bei allen Personen, auch bei Fremden. Im Nachhinein ist mir das echt peinlich…
Dachten deine Freunde, du wärst betrunken?
Zuerst dachten sie das. Aber dann wurde es so schlimm, dass ihnen klar wurde, dass das nicht nur am Alkohol liegen kann.
Wann reißt deine Erinnerung ab?
So ab drei Uhr nachts. Und dann bis sieben Uhr morgens, als ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Ich weiß von dem Abend nicht mehr viel. Auch als meine Freunde mir erzählt haben, was ich gemacht habe, konnte ich mich daran nicht erinnern.
Weißt du, wie du von der Party ins Krankenhaus gekommen bist?
Mit dem Rettungswagen. Nicht, weil ich zusammengebrochen wäre oder so, sondern weil ich so hyperaktiv war. Meine Freunde haben dann versucht, mich zum kotzen zu bringen, weil sie dachten, das könnte helfen. Haben sie aber nicht geschafft. Und dann haben sie den Rettungswagen gerufen.
Gehen wir zu dem Punkt, an dem du im Krankenhaus aufgewacht bist. Woran erinnerst du dich?
Als ich aufgewacht bin, war das erste, was ich sah, diese hässlichen grünen Wände im Klinikum. Ich lag auf dem Boden auf einer Matratze neben einem Penner. Ich bin dann aufgestanden. Mir war schlecht und schwindelig und ich hatte Kopfschmerzen. Noch zwei Tage danach war mir schlecht, ich konnte fast nichts essen, sogar von Suppe und Wasser ist mir schlecht geworden. Das war echt grenzwertig! Erst am dritten Tag war alles wieder okay.
Welche Erfahrungen hast du noch im Krankenhaus gemacht?
Ich selbst kann mich an nicht viel erinnern. Aber meine Mutter ist dorthin gekommen und hat mir nachher erzählt, ich sei nicht ich selbst gewesen. Ich hätte zum Beispiel gar nicht reagiert, als sie mich in den Arm genommen hat. Und als die Krankenschwester mich wecken wollte, habe ich wohl um mich geschlagen – und sie aus Versehen auch getroffen.
Wurde im Krankenhaus angenommen, du seist besoffen? Oder wussten sie, dass Drogen im Spiel sind?
Die dachten, ich sei megabesoffen. Aber das ist an Silvester wohl normal. Meine Freunde haben den Ärzten gesagt, dass sie glauben, dass mir was untergemischt wurde. Und dann wurde ein Bluttest gemacht. Allerdings haben sie die nur auf einen einzigen Wert untersucht…
…KO-Tropfen?
Genau. Aber bei mir waren es keine KO-Tropfen. Deswegen hat das Krankenhaus das zunächst nicht entdeckt. Danach waren wir bei einer Kinderärztin, weil meine Mutter Gewissheit haben wollte. Dort wurde dann eine Urinprobe genommen und entdeckt, dass ich Amphetamine im Blut habe. Es könnte also Speed gewesen sein.
Hegst du im Nachhinein Gräuel gegen das Krankenhaus, weil du dort nicht ernst genommen wurdest?
Ich glaube zwar, dass die mich nicht ganz ernst genommen haben. Aber ich kann das auch verstehen. Die hatten dort eine Menge zu tun an Silvester, und wenn dann da noch ein weiterer besoffener Jugendlicher rein kommt … oder scheinbar besoffen … dann kann man verstehen, dass die das nicht so richtig ernst nehmen. Auch, wenn ich das natürlich nicht richtig finde. Aber die kennen mich nicht und wissen nicht, dass ich normalerweise anders bin. Das ist schon okay.
Hast du das Gefühl, auf der Party nicht gut genug auf dein Glas aufgepasst zu haben?
Ich kann mir das nicht ganz erklären. Vor allem, weil ich mir mit der Freundin, mit der ich da war, immer gleichzeitig was zu trinken geholt habe. Und da waren auch immer andere Leute, die gesehen haben, wie das eingeschenkt wurde. Ich hatte nicht das Gefühl, unachtsam zu sein.
Glaubst du zu wissen, wer es war?
Nein, ich habe keine Ahnung.
Hast du zu der Verbindung Kontakt aufgenommen?
Ich habe bei der Polizei Anzeige erstattet gegen Unbekannt. Da habe ich auch die Adresse der Verbindung angegeben. Die Polizei wird dort also sicherlich nachgefragt haben. Aber rausgefunden haben sie nichts. Also gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Deswegen ist das Verfahren dann auch eingestellt worden.
Wenn du überlegst, was alles hätte passieren können – wie geht’s dir dabei?
Ich bin wirklich, wirklich froh, dass meine Freunde da waren und auf mich aufgepasst haben! Ich will echt nicht wissen, was passiert wäre, wenn die nicht da gewesen wären. Das wäre schlimm gewesen. Ich habe da schon so, unter Einfluss der Amphetamine, mit einem Typen was angefangen, den ich nicht kannte. Ich will nicht wissen was ich getan hätte, wenn meine Freunde nicht eingegriffen hätten.
Aber den Typen verdächtigst du nicht?
Nein. Ich kannte ihn zwar nicht, aber der gehörte zu der Gruppe, die uns eingeladen hatte. Ich glaube nicht, dass der was damit zu tun hatte.
Gehst du noch gerne aus? Und wie gehst du heute mit der Sache um?
Ich gehe schon noch gerne aus. Aber ich bin auf jeden Fall noch deutlich vorsichtiger als vorher. Ich passe mehr auf, auch, wenn ich früher schon sehr aufgepasst habe. Ich habe mein Glas immer im Blick und trinke immer direkt aus, wenn ich es irgendwo stehen lasse. Generell trinke ich weniger Alkohol. Obwohl es daran nicht mal lag… Ich will einfach nicht, dass so was noch mal passiert.
Wie geht deine Familie mit der Geschichte um?
Im Endeffekt war es für mich nicht so schlimm wie für meine Eltern. Als die morgens angerufen wurden und man ihnen sagte, ihre Tochter sei im Krankenhaus – ich glaube, das war für meine Mutter die schlimmste Erfahrung in ihrem ganzen Leben! Die findet das auch heute noch viel schlimmer als ich. Für sie war das echt der Horror. \
HINWEIS: Femke heißt nicht wirklich Femke. Sie hat uns aber darum gebeten, ihren echten Namen im Interview nicht zu nennen, weil sie nicht erkannt werden möchte. In den nächsten Monaten will sie mit dem Studium beginnen.
LINK: frauennotruf-aachen.de