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Aachens Kiez

Früher konnte man sich dort nicht blicken lassen, ohne am nächsten Tag darauf angesprochen zu werden. Heute ist sie Aachens studentisch-alternative Ausgehmeile. Ein romantischer Blick auf die Promenadenstraße.

VON MARCUS ERBERICH

So richtig hübsch ist sie nicht, die Promenadenstraße zwischen Synagogenplatz und Heinrichsallee. Zumindest, wenn man sie mit den malerischen Gässchen rund um Dom und Rathaus vergleicht. Und ihr Ruf, der ihr aus vergangenen Tagen als »Sträßchen« bis heute anhaftet, ist auch nicht gerade schmeichelhaft: Drogen, Prostitution, Gewalt, krumme Geschäfte. »In jeder Kneipe sitzen hundert Jahre Knast«, so lautet ein Spruch aus dieser Zeit, als Taxifahrer sich aussuchen durften, ob sie Fahrgäste in der Promenadenstraße abholen wollten oder lieber nicht.

Vor allem Vertreter einer älteren Generation ziehen die Augenbrauen hoch, wenn sie hören, dass eben diese Promenadenstraße in den letzten Jahren zum studentisch-alternativen Ausgeh-Viertel avanciert ist und auf dem Sektor sogar der Pontstraße – seit eh und je als Aachens »Ballermann« bekannt – ernsthaft Konkurrenz macht.

Die Veränderung begann, als in der Promenadenstraße »Die WG« eröffnete, eine studentische Bar, eingerichtet im Stile einer Wohngemeinschaft und mit Getränke-Preisen für schmale Geldbeutel. Konsequenter Weise waren ausnahmslos alle Kellnerinnen und Kellner hier Studenten – und sind es bis heute. Das Konzept hat sich bewährt, sogar so sehr, dass bald eine zweite Bar her musste, um dem Andrang gerecht zu werden. Also eröffnete gleich nebenan das »Sturmfrei« mit demselben Rezept.

Das Ex-»Hauptquartier« heißt bald »Kiez Kini«

Besitzer und Gesicht beider Läden ist Jörg Polzin. »Dass das hier so einschlägt, hätten wir nie gedacht«, sagt der gelernte Maurer und Industriekaufmann. Und noch ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht: Im leer stehenden »Hauptquartier«, lange Jahre Aachens berüchtigter Punkrock-Treffpunkt – wird Polzin noch in diesem Jahr seinen dritten Laden eröffnen: den »Kiez Kini« (Kini, wie der König auf bayerisch, nicht wie der Bikini). Hier soll der Schwerpunkt auf Konzerten und DJ-Veranstaltungen liegen, auch die traditionell bumsvolle »1-Stunden-Party« soll demnächst dort steigen. Bei der Shuttle Party am 9. Oktober werden die ersten Biere über die Theke gehen.

Die Kellner in der WG und dem Sturmfrei sind Studenten - alle! Foto: Marcus Erberich

Die Kellner/innen in der WG und dem Sturmfrei sind Studenten – alle! Foto: Marcus Erberich

Mit den anderen Gastronomien in der Promenadenstraße – darunter »Justus K« und das »Promenadeneck« – bestehe keine Konkurrenz, sagt Polzin. Da alle gegenseitig voneinander profitieren, verstehe man sich untereinander blendend. Das gelte im Übrigen auch für die Inhaber der Imbisse, der Gemüse- und Handyläden, die jüdische Gemeinde aus der Synagoge, die nur einen Steinwurf weit weg ist, und den Künstler Karl von Monschau, der hier seine Galerie hat.

Der gebürtige Troisdorfer Polzin vergleicht die Atmosphäre in der Promenadenstraße, in der Multi-Kulti wie sonst nirgendwo in Aachen sichtbar ist, mit der in einem Kölner »Veedel« oder einem »kleinen gallischen Dorf«: Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich gegenseitig. Und man schnackt lieber miteinander, als schweigend aneinander vorbeizugehen. Das gilt vor allem für Ulrike, eine Ur-Einwohnerin. Jeder, der in der Promenadenstraße lebt oder häufig hier zu Gast ist, kennt Ulrike. Weil sie früher im »Anker« gekellnert hat und heute oft den ganzen Tag lang an ihrem Fenster steht und mit jedem quatscht, der gerade greifbar ist. Versucht ein Auto auf der Straße vor ihrer Wohnung einzuparken, schreit sie »Stopp!« und »Weiter!«, um zu helfen. »Als sie einmal ein paar Tage verreist war ohne Bescheid zu sagen, haben wir ihre Tochter angerufen. Wir haben uns eben Sorgen gemacht«, sagt Polzin.

»Lassen uns nicht wegsanieren«

Bei zwei Kneipen mit studentischem Publikum, die gleich nebeneinander liegen, wird es gerne mal laut – seit dem Rauchverbot vor allem vor der Tür. Weil die Anwohner das gerne aushalten und nicht gleich das Ordnungsamt rufen, wenn sie sich in ihrer Nachtruhe gestört fühlen, kommt Polzin ihnen entgegen: Jeden Sonntag lässt er seinen Biergarten zwischen den beiden Kneipen geschlossen. Bewohner der umliegenden Wohnungen können sich dann dort treffen, zusammen grillen, ein Bierchen trinken, klönen.

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Anwohner und Jörg Polzin (3.v.l.) bei der Bezirksvertretung Aachen Mitte. Foto: Marcus Erberich

In Zukunft wird sich das Quartier rund um die Promenadenstraße verändern: Gleich nebenan entstehen derzeit ein Studentenwohnheim mit 80 Apartments und die immer noch streitbare Shopping-Mall »Aquis Plaza«. Im Zuge der »Aufwertungs-Arbeiten« im Viertel soll auch das Kopfsteinpflaster in der Promenadenstraße entfernt und durch Asphalt ersetzt werden, so hat es die Bezirksvertretung Aachen Mitte vorgesehen. Dagegen wehren sich aber sowohl Bewohner als auch Gastronomen. Polzin: »Das Kopfsteinpflaster hat Flair, Asphalt nicht. Ganz einfach.« Ein erstes Aufbegehren anhand einer Petition mit 1.300 Unterschriften ist gescheitert. Nun wird in Erwägung gezogen, gegen das Vorhaben zu klagen.

»Wir lassen uns nicht wegsanieren«, gibt sich Polzin gewohnt kämpferisch. Der Grund für den gemeinsamen Einsatz der Menschen in der Promenadenstraße gegen die Asphaltierung ist einfach: Das graue, schmutzige Kopfsteinpflaster gehört zum Gesicht der Promenadenstraße. Genauso wie die Synagoge, die Gemüsehändler, die Imbisse und die Kneipen. Denn Aachens Kiez ist zwar nicht besonders hübsch, dafür aber umso charismatischer. Und das wollen sie sich hier einfach nicht wegnehmen lassen. \