Gut ausgebildete Akademiker – vor allem aus technischen Studiengängen – haben oft die Wahl zwischen mehreren Stellenangeboten, denn die Nachfrage nach Fachkräften ist groß. Weiche Standortfaktoren werden deswegen zu harten Argumenten im Rennen um die am besten qualifizierten Bewerber.
VON MARCUS ERBERICH
Zuerst die Schule, danach das Studium – und dann? Nach dem Hochschulabschluss beginnt für die meisten Absolventen die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz. Für viele Absolventen aus technischen Studiengängen stellt sich diese Frage hingegen nur bedingt, denn bei nationalen und internationalen Firmen wird der Fachkräfte-Nachwuchs – auch aus Aachen – hoch gehandelt. Dr. Srdjan Petkovic, Arbeitsvermittler für akademische Berufe bei der Agentur für Arbeit: »Elektrotechniker, Luft- und Raumfahrtstechniker und Maschinenbauer werden von Arbeitgebern zum Teil schon während des Studiums angeworben.« Das zeigt: Um die am besten qualifizierten Fachkräfte gibt es einen Wettbewerb.
In diesem Wettbewerb gilt es, das eigene Unternehmen möglichst attraktiv für Berufseinsteiger zu machen. Für die meisten jungen Arbeitskräfte auf dem Markt zählen zwar immer noch die harten Fakten – Gehalt, Urlaubsanspruch und Vertragslaufzeit. Das bestätigt auch Heinz Klinkenberg, Teamleiter der Arbeitsvermittlung bei der Agentur für Arbeit in Aachen: »Fragen nach Kinderbetreuung oder Ähnlichem stehen oft zunächst mal an zweiter Stelle. Vielen ist es wichtiger, überhaupt erst mal einen Job zu finden.«
Dennoch gewinnen auch weiche Standortfaktoren von Firmen immer mehr an Bedeutung. Begriffe wie »Mitarbeiterorientierung«, »Kommunikation und Flexibilität«, »Aufenthaltsqualität«, »Work-Life-Balance«, »Arbeitsumfeld« und »Unternehmenskultur« klingen wie Worthülsen, sind aber messbare Faktoren im Werben um Fachkräfte.
»Deutschlands bester Arbeitgeber«
Das »Great Place to Work«-Institut Deutschland macht diese Faktoren in Zusammenarbeit mit dem »Handelsblatt« greifbar; jährlich vergibt es Auszeichnungen an Firmen, die sich besonders um weiche Standortfaktoren, also um ihre Angestellten bemühen. Grundlage für die Arbeit des Instituts ist eine anonyme Mitarbeiterbefragung sowie eine Befragung des Managements bezüglich der Personalarbeit. Auf dieser Basis werden Bestenlisten erstellt – Unternehmen, die gut abschneiden, dürfen sich am Ende öffentlich zu »Deutschlands besten Arbeitgebern« zählen. Die Gewinner treten zudem im Folgewettbewerb »Europas beste Arbeitgeber« an, was der eigenen Firma Bekanntheit auf dem internationalen Arbeitsmarkt verschafft.
Auch im Raum Aachen nehmen manche Firmen regelmäßig an dem Wettbewerb teil. Die Trianel GmbH zum Beispiel, Europas führende Stadtwerke-Kooperation, gehört im Jahr 2013 wiederholt zu Deutschlands hundert besten Arbeitgebern. Für Britta Buchhorn, Bereichsleiterin Personal und Organisation bei der Trianel, ist das gute Abschneiden im Wettbewerb gleich doppelt von Bedeutung: »Der Wettbewerb ist auch für uns spürbar, gerade wenn es darum geht, topqualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren und an uns zu binden. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass sich Bewerber für uns entscheiden, weil sie erkennen, dass sie hier mehr als einen Arbeitsplatz bekommen und sich aktiv in die Entwicklung des Unternehmens einbringen können«, sagt sie. Die Teilnahme am Wettbewerb habe sich zudem auch zu einem Feedbackinstrument für die Mitarbeiter etabliert. Konkret bietet die Trianel neuen Mitarbeitern gemeinsame Stadtrundgänge an, veranstaltet jedes Jahr ein Sommerfest für alle Angestellten und deren Familien und bezieht sie in Entscheidungen mit ein, zum Beispiel wenn es darum geht, wie das neue Gebäude ausgestattet sein soll, das gerade an der Krefelder Straße gebaut wird. »Um Hierarchiegrenzen abzubauen, leben wir eine Duz-Kultur und fördern die unternehmens- und abteilungsübergreifende Vernetzung der Mitarbeiter durch gemeinsame Aktivitäten wie eine Fußball-Mannschaft und vieles mehr«, erklärt Buchhorn weiter.
Auch das Bethlehem Gesundheitszentrum in Stolberg hat den »Great Place to Work«-Preis bekommen. Nach 2010 ist es in diesem Jahr zum zweiten Mal der beste Arbeitgeber im Gesundheitsbereich – Platz fünf bundesweit, Platz eins in NRW – und hat offenbar keine Probleme, Fachkräfte anzuwerben. Auf der Homepage schreibt Personalleiter Helmut Drummen: »Im Rennen um die besten Arbeitskräfte erscheint eine solch hohe Auszeichnung von Bedeutung. Immer mehr Bewerber suchen einen Arbeitsplatz, der ihnen ein gesundes Verhältnis von Beruf und Familie oder Freizeit ermöglicht.« Die Auszeichnung werde wahrgenommen, so heißt es im Text weiter, und die Zahl der Bewerber gebe Drummen recht: »Wird in anderen Einrichtungen händeringend nach Fachkräften gesucht, haben wir beste Bewerber in unseren Vorstellungsgesprächen.«
Aachen ist »bestens aufgestellt«
Absolventen, die nicht aus dem Hörsaal heraus von Unternehmen angeworben wurden, können auf das Beratungsangebot der Agentur für Arbeit zurückgreifen. Dort werden sie aber nicht zwangsläufig nur an Aachener Firmen vermittelt. Teamleiter Heinz Klinkenberg: »Für uns spielt der regionale Fokus nicht die entscheidende Rolle. Wir betrachten da eher – entsprechend unserem gesetzlichen Auftrag des Ausgleichs von Nachfrage und Angebot – den gesamten Arbeitsmarkt. Dabei sind wir natürlich auch bemüht, Unternehmen aus der Region entsprechend zu bedienen. In Aachen haben wir aber zum Beispiel einen so hohen Output an Maschinenbau-Absolventen, die kann man gar nicht alle regional versorgen.« Und für viele Absolventen sind andere Firmenstandorte durchaus reizvoll – bei allen weichen und harten Standortfaktoren, die Aachen schon bietet. Dr. Helmut Greif, Geschäftsführer der AGIT (Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer mbH), sagt: »Wenn ein Unternehmen groß ist oder wachstumsstark und zudem weltweit agiert, wie viele Firmen in der Region Stuttgart zum Beispiel, dann sind die Perspektiven für Absolventen technischer Fächer in diesen Unternehmen entsprechend aussichtsreich.« Der Standort Aachen habe aber, sagt Greif, einen Trumpf in der Hand: »Der langfristige Trend zur Wissensgesellschaft wird Standorte, die Wissen generieren, an Bedeutung zunehmen lassen. Hier ist Aachen mit seiner Exzellenzuniversität, aber genauso mit dem Forschungszentrum Jülich, dem größten dieser Art in Deutschland, bestens aufgestellt.« Eines beweist die Diskussion um vermeintliche Worthülsen wie »Work-Life-Balance« und »Unternehmenskultur« allemal: Topqualifizierte Absolventen haben die freie Wahl. \
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