Neun Tage machen schon was aus. Für mich, also ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es geht, es fühlt sich gut an, ich sabbere nicht, wenn ich an der Fleischtheke vorbei gehe. Ich entwickle bislang aber auch keinen Ekel.
VON LUTZ BERNHARDT
Ekel scheint im Veggie-Diskurs das beliebteste Überzeugungswerkzeug zu sein. Eine Freundin hat mich nach Beginn des Experiments zu einer Facebook-Gruppe eingeladen, die sich mit Fotos von Gehacktem beschäftigt. Mett in allen Variationen, als »Mettella« im Nutella-Glas, Mett-Werkzeuge im Mett-Koffer, ein »Kermett« oder eine Männerfigur, gemacht aus Mett. Das ist die eine Karte, die »Ekel vor Fleisch«-Karte.
Dann gibt es noch die andere, ich nennen sie mal die »Ethik-Ekel-Karte«. Hierfür stehen Sätze wie »Du isst ein Baby.« »In der Wurst steckt Gammelfleisch.« Alles schon gehört. Es geht drastischer: Als ich noch Jäger war (damit ist das Thema dann auch durch, versprochen), beschimpfte mich mal auf einer Juso-Party in Köln ein bis dahin nettes Mädel völlig angeekelt mit »Nazi«. Vorher haben wir wirklich Spaß miteinander gehabt. Bis sie wissen wollte, warum ich eine grüne Wachsjacke wie bei Rosamunde Pilcher tragen würde. So viel zum Thema: Wahrheit. Wurde nichts, mit uns.
Aber zurück zum Ekel. Erzählungen brauchen Höhepunkte, Argumente sollten einprägsam sein. Wenn ich in den vergangenen Tagen mit Leuten über die fleischlose Woche geredet habe, tauchten in »meiner« Geschichte auch die Bilder aus Safran Foers Buch von Kühen auf, die nach Bolzenschuss, Halsdurchschnitt, Enthäutung und Fußabschneiden noch zappelnd am Haken hingen. Aus einem Bericht eines Journalisten zitiert er: »Jede Woche werden Hühner, aus denen gelber Eiter rinnt, die mit grünen Fäkalien verschmutzt, mit gesundheitsgefährdenden Bakterien verseucht oder durch Lungen- und Herzkrankheiten gezeichnet sind, zum Verkauf an den Verbraucher verladen.« Und so geht es im Buch natürlich munter weiter…
Das Blöde bei diesen Bilder ist aber, dass der Effekt sich abnutzt. Also sollte ein Überzeugungsmix her, der eher an das Gute appelliert und weniger das Böse bezwingen will. Es funktioniert auch mit positiver Energie. Auch mit Lachen. Auf der Suche nach Futteralternativen bestellte ich mir jüngst in die Redaktion beim Chinesen eine Gemüsesuppe mit Tofu-Einlage. Einlage hört sich schon nach Hygieneartikel an, dachte ich mir. Aber meine Top 2 auf der Bestellungs-Bestenliste, Wantan-Suppe und Bo Xao Thap Can, Rindfleisch mit Morcheln vietnamesischer Style, verboten sich von selbst. Also die Gemüse-Suppe.
Ich will gar nicht lange über den Geschmack reden. Nehmen Sie mal ein altes Telefonbuch zur Hand, falls Sie das noch nicht entsorgt haben, reißen den festen Umschlag in Stücke, kochen die Schnipsel zehn Minuten in einem Topf Wasser mit viel Zwiebeln und wenig anderem Gemüse. Fertig. So schmeckt die Tofu-Einlage. Trotzdem trug die Bestellung dazu bei, dass wir alle viel Spaß beim Essen hatten. Vegetarismus = Spaß in der Gruppe, so funktioniert die Formel. Warum? Schaut Euch das kurze Filmchen an!
Safran Foer schreibt auch über die Bedeutung von gemeinschaftlichem Essen. Er spielt den Gedanken durch, was passieren würde, wenn es beim ur-amerikanischsten Feiertag, Thanksgiving, demnächst einfach keinen Truthahn mehr gäbe. »Im Zentrum unserer Thanksgiving-Tische steht ein Tier, das nie frische Luft geatmet hat oder den Himmel gesehen hat, bis es zur Schlachtbank geführt wurde. Auf unseren Gabeln steckt ein Tier, das unfähig war, sich zu reproduzieren. In unseren Bäuchen liegt ein Tier mit Antibiotika im Bauch.«
Safran Foer nimmt dieses Ritual sehr wichtig, er macht sich nicht lustig oder schreibt zynisch darüber. Er erklärt zuvor sehr detailliert welche Scheiß-Zeit die Industrie-Truthähne durchleben müssen. Tiere, die der Mensch in seinem grenzenlosen Hochmut mit einem Genmix ausgestattet hat, der sie unfruchtbar macht – diese Truthähne können sich nicht mehr fortpflanzen! –, der sie so schnell so fett macht, dass ihre Beinknochen das Gewicht nicht mehr halten können – wozu auch, zum Laufen ist ja eh kein Platz –, und der das Immunsystem quasi ausschaltet, so dass vom ersten bis zum letzten Herzschlag Medikamente im Blut sein müssen, um das Tier in wenigen Wochen zur Schlachtreife zu kriegen. Über Wachstumshormone, Biozide zur Käfigsäuberung oder die beschriebene perverse Schlachtung sei jetzt mal nichts weiter gesagt.
Safran Foer steigt mit dem Truthahn-Thema aus dem Buch aus. Er stößt zum Schluss noch einmal den Gedanken an, dass wir, die Zivilisierten, es beim Essen mit zwei »rivalisierenden Instinkten« zu tun haben – das Erinnern und das Vergessen. Erinnern heißt: Wie wir rund um das Essen und Trinken unsere Gemeinschaft erleben, prägt uns maßgeblich. Ich weiß nicht, ob meine Tochter sich daran erinnern wird: Für den ersten Löffel Möhrenbrei in ihrem Leben bin ich während der Arbeit nach Hause gefahren, um einfach dabei zu sein. Aber sie wird aufwachsen mit dem Gefühl, dass Essen, gemeinsam am Tisch, dass das Zubereiten, dass die Freude über den eigenen Salat aus dem Garten, dass das alles etwas Grundgutes ist. Unser Essen sagt viel über unsere Werte.
Vergessen meint: Den Preis, den andere für unseren Billigfraß zahlen, kennen wir. Damit meine ich die Qualen der Tiere. Aber darüber hinaus auch die verheerenden Folgen unserer Tier- und Nahrungsmittelproduktion. Heute stehen alle, wirklich alle Informationen zur freien Verfügung. Wir müssen das verdrängen, vergessen, sonst würden wir das ganze Zeug wieder rauswürgen. Und dass wir so einfach wegschauen, das sagt genauso viel über unsere Werte. So viel für heute…
ÜBRIGENS: Am Freitagabend, 7. Juni, steigt die Premiere von »Tiere essen« in der Kammer vom Theater Aachen. Schaut mal in das dazugehörige Blog: tiere-essen-theater-aachen.blogspot.de. Die Theaterpädagogin Katrin Eickholt treibt es im Selbstversuch weiter als ich – sie isst vegan.
LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 1: GAG-REFLEX UND BEKLEMMUNG
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