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Tiere (nicht) essen – Tag 1: Gag-Reflex und Beklemmung

Die Idee steht plötzlich im Raum. Wir überlegen in der Redaktion, wie wir über »Tiere essen«, die kommende Produktion am Theater Aachen berichten sollen. Ich habe das Buch von Jonathan Safran Foer seit Monaten im Regal, aber noch nicht gelesen. Bislang verspürte ich schlicht keinen Drang. Irgendwer wirft es in die Runde: Eine Woche kein Fleisch! Soso…

VON LUTZ BERNHARDT

Wir versprechen uns vom Selbstversuch eine erzählenswerte Geschichte. Vielleicht sogar … Erfahrung? In der Redaktion machen erstmal die üblichen Witzeleien die Runde. Fleischverzicht scheint vor allem bei Männern einen Gag-Reflex auszulösen. Bei mir auch, ich nehme mich da gar nicht raus.

Meine persönlichen Beweggründe für den Verzicht sind völlig diffus. Es geht mir weniger um die Tiere, schätze ich. Eher um die geforderte Disziplin. Wenn ich eines nicht bin, dann diszipliniert. Nun ist eine Woche wirklich überschaubar, aber irgendwas wird wohl passieren.

Tierschutz ist für mich ehrlich gesagt weit weg. Ich habe Tiere getötet, ich habe fünf Jahre lang zwei Dutzend Rehe, zwei Mufflons, zwei Schweine, etliche Hasen und Kaninchen, einen Fasan und sechs Enten erschossen. Und alle auch gegessen. Bis auf ein Kaninchen, das war krank. Damals gehörte es zu meinem Forstwissenschaftsstudium, einen Jagdschein zu machen. Jagen war für mich die beste Art, sich selber Fleisch zu besorgen. Das ist lange her, ich habe seit meinem Abschluss nicht mehr gejagt.

Heute sagt mein Gewissen: Es ist o.k., wenn Du die Wurst, den Fisch, die Garnelen dann und wann aus dem Bio-Regal nimmst. Klar reden wir zuhause über »gutes Fleisch«. Und wir bestellen einmal im Jahr ein Bio-Lamm und von einem Rinderzüchter ein paar Kilo Kalb. Mehr aber auch nicht. Aber sobald der Grill ruft, greife ich oft genug auch nach dem eingeschweißten, marinierten Zeug. In einem Restaurant habe ich noch nie ein Steak oder Filet nicht bestellt, weil mir die Herkunft nicht klar war.

Jetzt ist also die Entscheidung getroffen. Mittags beim Pizza-Bestellen klicke ich mal direkt ein paar Zutaten mehr an, um wirklich, wirklich satt zu werden. Artischocken und Kapern. Geht doch… Natürlich ist das Ding nachher viel zu mächtig.

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Warmer Spargelsalat ohne Fleisch. Foto: Lutz Bernhardt

Abends im Supermarkt. Einkaufen wie ein Vegetarier, fühlt sich richtig erhaben an, haha. Ich habe mal Reiner Hensen von der Burgstubenresidenz in Randerath über die Schulter geschaut, als er einen warmen Spargelsalat mit Orangenfilets und Tomaten gemacht hat. Wir haben das zuhause schon oft gegessen. Also lade ich alles in den Einkaufswagen – und steuere wie von Geisterhand gelenkt aufs Fleischregal zu. Denn zum Rezept gehört guter, geräucherter Schinken. Und dann fällt mir an der Kasse die Packung auf! Ich zurück, Serrano wieder ins Regal. So viel zur Routine.

In der Erwartung, dass ich meinen Salz-Fleisch-Geschmack aber irgendwie decken muss, packe ich ein anständiges Stück Roquefort dazu.

Später, wir haben längst gegessen, bemerke ich zwei Dinge. Erstens: Ich habe viel zu viel gefuttert. Irgendein Drang zu kompensieren hat sich meiner bemächtigt. Und zweitens: Ich fühle tatsächlich so eine winzige Beklemmung, Panik wäre zu viel gesagt. So ein leichtes Unwohlsein, weil ich es nun mit einer Art Verbot zu tun habe. Nun denn… eine Woche, ist ja schnell rum. \

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 2: ZU VIEL MÜSLI UND GESCHMORTER HUND NACH HOCHZEITSART

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 3: DIE SACHE MIT DER MORAL UND PARTY MIT VEGGIE-BURGERN

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 5: SMALL-TALK-GEWISSEN UND DAS SCHREIEN DER SCHWEINE

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 9: TOFU-BALLETT UND DIE SCHEISS-ZEIT DER TRUTHÄHNE

LINK: TIERE (NICHT) ESSEN – TAG 10: GROSSES INTERVIEW ZUR PREMIERE VON »TIERE ESSEN« AM THEATER AACHEN