HAUSSCHUHE, OH GOTT!
Ausziehen wollte ich, solange ich denken kann. Zumindest seit meine Schwester es mir vorgemacht hat. Da war ich sechs.
TEXT: KIRA WIRTZ
Wie unendlich schön müsste es sein, alleine zu leben. Aufkleber auf Möbelstücken verteilen, nicht aufräumen, ausgehen ohne Zeitbegrenzung. Mit dem Studium setzte ich den Plan endlich um. Bitte so weit wegziehen, dass pendeln unmöglich scheint, so nah an zuhause, dass ich meine Eltern doch am Wochenende besuchen konnte.
Eine eigene Küche, ein eigenes Bad, überall Unordnung, außer im Kleiderschrank. Aufkleber auf dem Boiler in der Küche, ein pink-orange-karierter PVC-Boden, herrlich. Lichterketten an Billyregalen. Nächtlicher Besuch von den besten Freunden, inklusive Schlagerhits, Liebesfilmen und Sekt bis morgens um fünf. Wundervoll. So sollte es ewig bleiben.
Aber ewig ist relativ. Denn irgendwann bekam mein Freund einen tollen Job, wurde auch geistig älter und wollte nicht mehr in seiner Studentenbude leben, sondern sich was Vernünftigeres suchen. Was dann passierte war zu Beginn noch ganz fabelhaft. In Gedanken richtete ich schon sämtliche Wohnungen für ihn ein, die das Internet für Aachen bot. Eine tolle Terrasse, auf der ich plante, meine Sonntage zu verbringen. Eine Badewanne wäre toll, dachte ich mir. Schließlich hatte ich nur eine Dusche in Miniformat mit Warmwasserstörung. Wenn ich dann bei ihm übernachten würde, könnte ich immer duschen. Perfekt. Vielleicht könnte auch eine Waschmaschine mit ihm in die Wohnung einziehen. Dann würde ich einfach dort waschen. Vielleicht während ich auf der Terrasse oder in der Badewanne lag. Vielleicht würde ich mal aufräumen, bevor ich ging.
Irgendwann fingen die Besichtigungen an. Die eine Wohnung war nix, die andere zu teuer. So verging eine gewisse Zeit, bis er mich bat, noch eine Wohnung mit anzusehen. Arbeitskollegen von ihm würden wegziehen und suchten Nachmieter im Frankenbergerviertel. Toll, Frankenbergerviertel. Altbauten mit verschnörkelten Balkonen und traumhaften Treppenhäusern.
Vor der Eingangstür war ich schon völlig aus dem Häuschen und mein Freund war für mich schon der nächste Mieter – drinnen wurde meine Stimmung nicht schlechter. Riesiges Bad, kleiner Balkon. Eine Waschmaschine in der Küche, ach ja: Einbauküche! In einem eigenen Raum mit Türe! Und es gab ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Grandios.
Etwas später, als wir bei mir zu Hause waren, bemerkte ich, dass irgendetwas nicht stimmt. Ob das wirklich das Richtige ist, druckste er rum. Na klar! Absolut perfekt, war meine Antwort. Vielleicht etwas zu übertrieben für eine Person, meinte er weiter. Quatsch, sagte ich. Ich wollte in keinem Fall Stuckdecken, Balkon, Waschmaschine und Badewanne einfach so aufgeben. Die Wohnung ist zwar groß, aber du könntest dir ja einen WG-Partner suchen, versuchte ich es weiter. Wenn ich wollte, könnte ich seine Wohnung teilen, kein Problem!
Er dachte nach. Das war gut. In Gedanken ging ich seine Freunde durch, alle ganz okay… »Ich fände es ehrlich gesagt am coolsten, wenn du mit mir dort einziehst!« Was? Das hat er doch nicht gesagt! Doch hat er. Ich stand ziemlich knapp vor einem Panikanfall. Ich sah es schon vor mir: Ich werde alt und spießig, würde pinken Boden gegen 80er Schrankwand tauschen. Oh Gott, ich würde Hausschuhe tragen. Keine Aufkleber mehr. Nirgends.
»Das ist ein Witz, oder?« «Ehrlich gesagt nicht. Dir gefällt die Wohnung doch auch. Wir könnten es versuchen. Mehr als schief gehen, kann es nicht.« Was? Schief gehen? Das war jetzt nicht mein Gedanke. Typisch Kerl. Ich machte mir keine Sorgen um eine zerbrochene Beziehung, sondern um viel schlimmere und vor allen wahrscheinlichere Dinge. Seine Möbel mit meinen zusammen in einem Raum. Nur ein Badezimmer! Und er denkt das Schlimmste was einem passieren kann, ist, dass man sich trennt?
»Überall werden deine Sachen liegen!« brachte ich hervor. »Das ist dein Hauptproblem? Hast du dir meine Wohnung mal angesehen? Da liegt nix rum. Du bist doch die, die immer alles rumliegen lässt. Also wenn es darum ginge, sich den schlimmsten Mitbewohner vorzustellen, den es gibt, dann kommst du dem ziemlich nahe.« Ich brauchte dringend einen Schluck Sekt. Um einen klaren Gedanken fassen zu können. Er sah das als Anstoßen auf die gemeinsame Zukunft. Und er hatte irgendwie Recht.
Zusammen wohnen ist gar nicht schlimm, zumindest von meiner Seite aus – zumindest nach zwei Jahren Übung. Ach ja, übrigens: Ich trage keine Hausschuhe und ich bin auch nicht plötzlich spießig geworden. Ich konnte meinen Freund leider nicht von einem pinken Flokati überzeugen, aber ich habe bunte Pril-Blumen auf den Wasserboiler geklebt. Meine Freundinnen und Freunde besuchen mich immer noch. Auch bis fünf Uhr morgens. Alles kein Problem, ich hatte scheinbar überreagiert.
Es gibt nur eine Sache, die schief gegangen ist. Aus der Dusche kommt kein warmes Wasser mehr, wenn die Waschmaschine läuft. Aber scheinbar kann man echt nicht immer alles haben. \