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Das Risiko spielt immer mit

Foto: www.jensklatt.de

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Jochen Reiser lebt für seine Leidenschaft, das »Big Mountain Freeskiing«. Ihn faszinieren das ständige Überschreiten der eigenen Leistungsgrenzen und das Zusammenspiel mit der Natur und ihren Gewalten.

TEXT: PIA BOSSELER

Ski fahren – darunter können sich die meisten etwas vorstellen. Und selbst im weniger geeigneten Aachener Flachland, wo über den Lousberg nichts hinausgeht, gibt es viele, die sich schon selber auf den Holzlatten ausprobiert haben. Dennoch: Was Jochen Reiser tut, das wird die Vorstellungskraft des Durchschnittbürgers zumindest einmal sehr beanspruchen.

Bei dem Profi-Freerider reicht der Schnee nicht selten bis zur Hüfte und Sprünge spielen sich in anderen Dimensionen ab, als Hüpfern über Unebenheiten am Pistenrand. Immer wieder gilt es, Höhen von zehn Metern und mehr zu überwinden – mehr fliegend als springend. Neben dem ständigen Training ist er für seine Sponsoren tätig, dreht Filme, macht atemberaubende Fotos für Fachzeitschriften und testet Material. Contests sind seit einem Trümmerbruch am Unterschenkelhals vor anderthalb Jahren kein Bestandteil seines Jobs mehr. Doch von solchen Rückschlägen lässt sich der Profi-Skier aus Süddeutschland nicht abhalten, seinen Traum, den er seit seiner Jugend hatte, weiter auszuleben: »einfach nur Ski fahren.«

Neben dem »normalen Skifahren« (so nennt er das, was er tut), legt er mit Tätigkeiten im Community- und Team-Management für den deutschen Raum bei »Salomon« und seiner eigenen »snow acadamy«, einer Art Freeride-Skischule, die Grundsteine für seine berufliche Zukunft nach der Karriere als Profisportler.

Ob es nun Verletzungen sind, Lawinen oder Gletscherspalten, gewisse Gefahren bringt der Skisport immer mit sich. Doch irgendwie gehören wohl genau dieser Nervenkitzel und die ständige Überwindung eigener Grenzen, die sich je nach Können und Erfahrung immer wieder neu definieren, sowie die Anerkennung seiner Leistung zu den Dingen, die den Kick ausmachen.

Außerdem gehöre, sagt Jochen, eine Portion Respekt einfach dazu. Ohne ihn breche einem der Übermut viel zu schnell das Genick – im wahrsten Sinne des Wortes. »Wer keine Angst hat, der ist in der Sportart falsch«, sagt er. Als Gegengewicht gehöre ein gewisses Selbstvertrauen aber zweifellos auch dazu, denn falle man beispielsweise bei einem Sprung, so liege dies in den allermeisten Fällen am Absprung. Daher sagt Jochen: »Bevor ich etwas mache, bin ich mir sicher, dass ich das kann und dass ich es schaffe.« Dabei ruft er sich die Gefahren stets ins Bewusstsein, statt sie zu verdrängen.

»Gerade in punkto Lawinen heißt ein ernsthaftes Zögern, ob ich einen Hang fahren kann, dass ich es definitiv lassen sollte.«, sagt er. Natürlich gebe es trotz dieses Bewusstseins immer wieder Situationen, in denen einem erst im Nachhinein bewusst werde, dass dort der schmale Grat zwischen Nervenkitzel und Gefahr überschritten wurde. Aber auch solche Erfahrungen bereichern ihn. Denn der gleiche Fehler wird ihm kein zweites Mal passieren.

Mit Verletzungen sehe es da schon ganz anders aus, denn diese ziehe man sich oft in den banalsten Situationen zu: Ein zugeschneiter Stein, ein Blick in die falsche Richtung oder die letzte Abfahrt des Tages, bei der Kraft und Aufmerksamkeit nachlassen, seien typische Ursachen für Verletzungen. Jochen sieht’s gelassen: »Dann findet die Saisonvorbereitung im Sommer eben auch mal in der Reha statt.«

Bei der Frage, was für Jochen persönlich so krass ist, dass es ihm kalt den Rücken hinunterläuft, lacht er. Er muss nachdenken. Schließlich antwortet er, das sei wohl das Downhill-Mountainbiken. Immerhin springe man dort in Dreck und Steine, statt in fluffigen Schnee. Dabei muss man jede Sportart auch einmal aus dem Laienblickwinkel betrachten: Wenn Jochen Reiser im Sommer surfen geht, dann ist es ihm ganz egal, ob er eine tadellose Haltung an den Tag legt, oder in »Kackstellung« auf dem Board steht und die kleinste Welle riesig wirkt. Entscheidend ist für ihn dann alleine die persönliche Genugtuung über die ganz persönlichen sportlichen Erfolge am Abend.

Und das gehe, meint Jochen nicht ohne Wehmut, beim Berufssport oft verloren. Die Worte »Limit« und »extrem« müssten eben ganz individuell definiert werden, je nach den eigenen Fähigkeiten. Eins jedoch wird jeder Wintersportler bestätigen können: »Entscheidend sind viel weniger die Extreme, als die Verbundenheit mit der Natur und der Umgebung, die die eigentliche Faszination ausmachen.« \

(Erstmals erschienen in Klenkes Neo 8 »Extrem«)