Christian Wulff löst mit seiner Behauptung, der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, kontroverse Debatten aus. Thilo Sarrazin schreibt mit streitbaren Thesen einen Bestseller. Und Teile der Fußballfan-Szene werden von rechts unterwandert. Ein Gespräch mit Richard Gebhardt vom Institut für Politische Wissenschaft an der RWTH Aachen.
INTERVIEW: MARCUS ERBERICH
»Das wird man wohl noch sagen dürfen!« Was löst dieser Satz in Ihnen aus, Herr Gebhardt?
Früher löste so etwas tiefste Abneigung in mir aus, weil ich solche Sätze feige finde. Meistens stimmen sie ja nicht mal, weil wir von Ausländerkriminalität bis Zwangsehe ja meist von der auflagenstarken Bild-Zeitung informiert werden – und die ist weiß Gott nicht politisch korrekt. Mir missfällt an solchen Sätzen auch die Annahme, etwas Verbotenes zu sagen, das vom politisch korrekten Kartell unterdrückt wird. Dabei stoßen diese Auchmalsagendürfer doch nur mit viel Lärm offene Türen auf. Mittlerweile, nachdem ich mich viel mit dem Thema beschäftigt habe und in der ganzen Bundesrepublik mit Vorträgen unterwegs war, ist es aber mehr Verwunderung. Wir können doch nicht Reizthemen ansprechen und uns dann wundern, wenn sich jemand beschwert. Außerdem: Mit ihren Thesen docken diese Leute ja an Mehrheitspositionen an. Das hat doch der Fall Sarrazin gezeigt: Der Mann hat 1,5 Millionen Bücher verkauft, der hat den größten deutschen Verlag im Hintergrund. Mit seinen Positionen kommt der in jede große deutsche Talkshow rein, Spiegel und Bild bieten Vorabdrucke. Dennoch wird so getan, als hätte er seine Botschaften geheim unters Volk bringen müssen, eigentlich bei Underground-Verlagen. Diese ideologische Verkehrung ist interessant.
In einer Ihrer Veröffentlichungen nennen Sie die Verwendung solcher Phrasen »das Sarrazin-Syndrom«.
Der Begriff ist nicht von mir, sondern vom Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz. Ich habe ihn nur noch mal aufgenommen, weil Bolz selber diesen Typus des rasenden Mitläufers verkörpert und Zugang zu allen öffentlichen Medien hat. Einer wie Bolz, der eine Professur in Berlin hat, will auf einmal eine neue Rechtspartei gründen und »des Volkes Stimme« gegen das politisch korrekte Kartell zu Gehör bringen. Und das ist das »Sarrazin-Syndrom«: Leute, die eigentlich Christian Wulff nicht folgen wollen, wenn er sagt, der Islam gehöre mittlerweile zu Deutschland, aber aus Angst vor vermeintlichen Sanktionen nur versteckt Widerspruch einlegen.
Warum gibt es in Deutschland keine rechtspopulistische Partei, wie es sie in anderen europäischen Ländern gibt?
Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen fehlt die charismatische Führungspersönlichkeit. Wir haben keinen deutschen Haider. Oder so eine schillernde Persönlichkeit wie Pim Fortuyn in den Niederlanden, der in einer Talkshow über den Geschmack von Sperma und über Ethik im Darkroom geredet hat. Die politische Kultur in den Niederlanden ist da sehr besonders. Das waren schwule Themen in dieser Sendung, in Deutschland wäre er damit komplett weg vom Fenster gewesen. Trotzdem war er der oberste Rechtspopulist, der gleichzeitig aber gesagt hat: Ich habe nichts gegen Araber, ich habe sogar Sex mit ihnen. Der andere Punkt ist der: In Deutschland brauchen Sie Medienmacht und Geldmittel in 16 Bundesländern, um langfristig erfolgreich zu sein. Das gelingt dieser Art von politischer Positionierung nicht. Das entscheidende Argument ist aber die Politik der Stigmatisierung: Wer in der Bundesrepublik Deutschland rechtsextrem ist, der läuft aus seiner Sicht Gefahr, öffentlich so gelabelt zu werden, dass er nicht mehr als Teil dieser politischen Kultur gilt. Zumindest nicht im Sinne des Legitimierten. Kurz: Auch ein offenes Bekenntnis zum Rechtspopulismus wäre mit Risiken verbunden. So ist zumindest die Wahrnehmung. Egal, ob dieser Eindruck stimmt, er prägt das Bewusstsein dieses Teils des Publikums. Meine Vermutung ist aber, dass diese Stigmatisierung irgendwann aufbrechen wird.
Es wird eine rechtspopulistische Partei geben?
Es muss nicht gleich die Partei sein. Es können auch rechte Intellektuelle sein, die wir noch gar nicht auf dem Schirm haben. Das können zum Beispiel Abwanderungsbewegungen aus der Union oder der FDP sein. Es können aber auch rechtspopulistische Strukturen sein, die sich im Moment noch in der SPD beheimatet sehen; also dieser Kreis um Buschkowsky und Sarrazin. Allerdings: Wenn der Zentralrat der Muslime sagt, Sarrazin sei ein »Nazi in Nadelstreifen«, dann ist das purer Quatsch. Sarrazin steht nicht für einen Führerstaat oder dergleichen. Was er jedoch betreibt, ist eine Renaissance der Sozialeugenik. Der entscheidende Unterschied ist: Stehen diese Leute im Rahmen des europäischen Verfassungsrahmens oder wollen sie den Führerstaat propagieren, wie es letzten Endes die NPD will?
Sie sprechen in Ihrer Veröffentlichung außerdem von »elitärem Neo-Rassismus«. Was bedeutet das?
Neorassismus bedeutet, dass die Kultur die Position von Rasse eingenommen hat. Das bedeutet, wo man früher gesagt hat, jemand sei aus rassischen Gründen different, spricht man heute von der Kultur. Thilo Sarrazin sagt das ja ausdrücklich über anpassungsunwillige Muslime. Die sind so, »weil ihre Kultur so ist«. Meint: Die können eigentlich nicht anders. Das ist für ihn etwas Statisches. Und wenn ein Türke hier in Deutschland ist, ist der für Sarrazin automatisch ein Muslim, weil er qua Nationszugehörigkeit schon als Muslim zu zählen ist. Und das ist für mich Neorassismus; elitär in dem Sinne, dass Sarrazin ja eigentlich als Betriebsprüfer des deutschen Volkes auftritt. Er spielt ja eine Art TÜV, wenn er die Bevölkerung in tauglich und nicht tauglich segmentiert.
Politischer Extremismus wird meist mit rechten Radikalen in Verbindung gebracht. Wie steht es um das linke Gegenstück?
Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland wäre eine Art von Politik, die sich offen zu Gewalt bekennt, die also Gewalt als politisches Mittel legitimiert. Für die jüngere Geschichte der Bundesrepublik geht das los bei Brandanschlägen auf Zeitungen mit rechtem Inhalt, oder bei der Bedrohung von CDU-Abgeordneten. Eine linksextreme Tendenz würde außerdem ihre eigene Ideologie als absolut setzen. Sie würde den Wert von Gleichheit so übersteigern, dass andere Motive wie Freiheit und Individualität darunter leiden. Aber letztlich sind wir nicht mehr in den 70er-Jahren mit der RAF, »Linksextremismus« existiert vielfach nur als Gespenst. Wichtig ist: Der Rechtsextremismus wiederum basiert eben nicht auf einer Ideologie der Gleichheit – und das ist der entscheidende Unterschied zur Linken – sondern auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit und formuliert gleichzeitig eine Politik des starken Staates, also eines Führers, bei gleichzeitiger ethnischer Reinheit. Die offiziellen Kriterien für Extremismus sind Brüche mit den verfassungsrechtlichen Prinzipen und das eindeutige Bekenntnis zur Gewalt. Dies wäre auch bei Linken zu kritisieren. Der Unterschied liegt in der Ideologie und in der Auswahl der Opfer, die verbindende Klammer ist die Bejahung der Gewalt.
Im Rahmen Ihrer Arbeit beschäftigen Sie sich auch mit extremistischen Tendenzen in der Fußballfan-Szene. Sind Stadien ein fruchtbarer Nährboden für Radikale?
Wenn Sie Anfang der 90er-Jahre auf dem Tivoli waren, dann war dieses »Asylanten«-Geschrei keine Ausnahme. Das ging durch das ganze Stadionrund wie eine rassistische Laola-Welle – und hat vor der Tribüne nicht Halt gemacht. Das war ein massiver Stadionchor, den gibt es seit 2006 in der ausgeprägten Form eigentlich nicht mehr. Ich habe ja mit am Runden Tisch gegen Rechtsextremismus bei der Alemannia gesessen, und auch das Insignienverbot in Bezug auf die rechtsoffene »Karlsbande« vorgeschlagen, weil mir das mit Blick auf die Ultrakultur als das Sinnvollste erschien. Generell ist es beim Fußball so, dass wir eine Renaissance der 80er-Jahre verzeichnen. Im Stadion gibt es eine Verdichtung von Kräfteverhältnissen einer Gesellschaft, es ist auch ein Barometer für latente Stimmungen. Ich würde aber keinesfalls sagen, dass der Fußball automatisch ein Spiegel der Gesellschaft ist. Das sehen Sie am Beispiel Homophobie: Guido Westerwelle hat heute kein Problem damit zu sagen, dass er schwul ist. Im Stadion steht zum Teil lediglich ein sehr konservativer Block.
Warum ist das so?
Der Fußball ist ein sehr körperintensives Spiel mit bestimmten Männlichkeitsbildern und mit einer bestimmten Verklärung von Disziplin, von Ehre, von Mannschaftsgeist. Es gibt ein Freund-Feind-Schema. Und wer diese ganzen Ideologien im Stadion nicht ironisch bricht, der ist dann eben auch anfällig für ein bestimmtes rechtes Motiv. Viele Fans haben diesen »falschen Bekannten«, der politisch nicht ganz korrekt tickt. Die Liebe zum Verein macht da manchen blind. Und die Über-Ideologie der Fans führt dann teils zur falschen Verbrüderung. Polizeipräsident Klaus Oelze hat für den Tivoli eine Zahl genannt, die ich sehr einleuchtend finde: 47 Leute unter den Aachen-Fans lassen sich eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zuordnen. Und die wirken auf die anderen Fans auf unterschiedlichem Wege ein. Für Teile der Fankultur ist das Stadion nun mal ein ganz eigener Ort, eine temporär autonome Zone. Damit ist aber nicht gesagt, wie die politisch aufgefüllt wird. Ich meine: Das Stadion ist sozialpsychologisch ein total tolles Ding. Ein guter Ort für den Affektabbau, man kann sich da auch mal austoben. Denn das geistige Neandertal wütet ja in einem selber auch. Aber muss ich deshalb gegen Minderheiten hetzen? Ich finde, da brauchen wir ein anderes Problembewusstsein.\
(Erstmals erschienen in Klenkes Neo 8 »Extrem«)